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Direct Cinema gegen Retter aus Europa

Kampf gegen eine behauptete Leidkultur: Filme von Frauen über Frauen im Iran  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Es gehört zum jüngst von Renate Künast verabschiedeten Modell der Multi- wie zum gerade umkämpften der Leitkultur: Die Grundüberzeugung, wer hier lebe, müsse neben der Treue zur deutschen Verfassung auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau praktizierend unter Beweis stellen – auch wenn sich die konkreten „Anforderungen“ an die „nicht-deutsche“ Bevölkerung je nach Modell noch einmal unterscheiden. Schon als die französische Nation gegen den algerischen Befreiungskampf auch ideologisch Front machte, galt ihr vor allem das Kopftuch als Zeichen der Missachtung dieses europäischen Grundwerts. Ohne weiteres kann so über die Zuweisung einer Leidkultur, die in der islamischen Welt herrschen soll, das vermeintlich Eigene, eine Kultur der Gleichberechtigung behauptet werden.

Vielleicht darum begegnen Filmemacherinnen aus islamischen Ländern dem bevorzugt mit den Mitteln des direct cinema: Gegen die Verstellungen des eurozentristischen Blicks vermag am ehesten die filmisch erzeugte Wahrhaftigkeit anzukommen, während die Fiktion als bloßes Trug- oder Wunschbild denunziert zu werden droht. Denn der eurozentristische Blick ist kaum in der Lage, die fraglichen Frauen anders denn als bloße Opfer wahrzunehmen, die – kulturell bedingt, versteht sich – ihre Unterdrückung stets erdulden und eigentlich nur von außen, vom Europäer gerettet werden können.

An vier Dienstagen in diesem Monat geben Werkstatt 3 und Lichtmeß einen Blick frei auf die umfangreiche Filmproduktion von Frauen im Iran. Nicht alle, das muss hinzugefügt werden, entstanden allein dort. Der Apfel beispielsweise, mit dem die Reihe heute eröffnet wird, wurde in Frankreich fertiggestellt. Die kaum 18jährige Samira Makhmalbaf, Tochter des iranischen Regisseurs Mohsen Makhmalbaf, überzeugte eine Familie, die zwölf Jahre lang ihre beiden Töchter gefangenhielt, sich selbst zu spielen.

Herausgekommen ist dabei ein in vielem surreal anmutendes Zeugnis über das Ringen der Eltern mit der von einer Sozialarbeiterin erzwungenen Freigabe der Mädchen und deren ersten Schritten in der Stadt – ihren staunenden Umgang mit anderen Kindern und erste Erfahrungen damit, dass was man haben will, in den meisten Fällen auch bezahlt werden muss. Hier hat einmal eine Filmemacherin gezeigt, wo sogar auf Seiten der iranischen Behörden die Grenzen der Freiheitsbeschränkungen für Frauen liegen. Eine Landkarte, von der ausgegangen werden darf, wenn es um den Kampf der Frauen selbst um mehr Rechte geht.

Zwei weitere Filme, die Dokumentation Scheidung auf Iranisch von Kim Longinotto und Ziba Mir-Hosseini und Rakhshan Bani-Etemads Feature Der blaue Schleier messen die Räume aus, die sich Frauen im Iran genommen haben: das Recht auf Scheidung beleuchtet der eine an vier Beispielen, das Arbeiten-Dürfen verhandelt neben anderem der zweite Film. Die deutlichste Sprache spricht die Dokumentation Die Busfahrerin – eine iranische Reise.

Die irakische Regisseurin Naysoon Pachachi trieb die einzige Busfahrerin des Irans auf und folgte ihr auf einer Fahrt von Teheran bis an den Persischen Golf. Doch das dokumentarische Roadmovie nimmt nicht nur den Kampf dieser Frau um eine Fahrgenehmigung und ihre Durchsetzung gegenüber den männlichen Kollegen und Fahrgästen in den Blick. Und er ist mehr als die Dokumentation von Bildern, die viele iranische Frauen der Reisebeschränkungen wegen (für eine Reise ohne männliche Begleitung bedarf es mühseliger Behördengänge) nie zu Gesicht bekommen. Die Reise vielmehr wird zum Anlass, Dutzende weiterer Frauen aufzusuchen, die sich in irgendeiner Weise für ihre Rechte eingesetzt haben: eine Künstlerin, die jahrelang nicht ausstellen durfte, Jurastudentinnen, die auf diesem Hauptkampfplatz für mehr Rechte fechten wollen, eine Kamerafrau, eine Journalistin, Frauen in der Elektroindustrie und und und.

„Niemand wird uns unsere Rechte als Frauen auf einem Silbertablett reichen. Alles was wir wollen, müssen wir uns erkämpfen“, so das Credo der Regisseurin. Dass es auch das Credo vieler Frauen im Iran ist, davon zeugt ihr Film über Widerstand und „Heldentum“ im Alltag.

Der Apfel: heute; Die Busfahrerin – eine iranische Reise: 14.11.; Scheidung auf Iranisch: 21.11.; Der blaue Schleier: 28.11., alle 20 Uhr, Lichtmeß

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