: „Eine diffamierende Debatte“
CDU-Mitglied Emine Demirbüken ist bereit, über Patriotismus und Nation zu diskutieren – aber nur, wenn dabei alle in Deutschland lebenden Menschen einbezogen werden
taz: Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel verteidigt den Begriff der „Leitkultur“ mit dem Bekenntnis zu „Vaterland, Patriotismus und Nation“. Benutzen Sie den Begriff?
Emine Demirbüken: Nein. Doch wenn der Begriff an alle Menschen gerichtet ist, die in Deutschland leben, finde ich es spannend und wichtig, über eine deutsche Leitkultur zu diskutieren. Wie definiert sich die Nation und der Patriotismus, nachdem nach Deutschland seit 40 Jahren Menschen eingewandert sind?
Sie wollen also eine breiter angelegte Debatte?
Auf jeden Fall. Das, was die CDU derzeit diskutiert, bedeutet nur, dass die Ausländer sich anpassen müssen. Auch die Deutschen müssen gefragt werden, was Deutschsein für sie bedeutet. Es geht um die gesamte Gesellschaft. Die derzeitige Diskussion ist einschränkend und diffamierend. Sie ist ein oberflächlicher Schlagabtausch, über Inhalte wird kaum gesprochen.
Im CDU-Konzept wird gefordert, dass Einwanderer sich der abendländischen Kultur anpassen, die unter anderem vom Christentum und Judentum geprägt ist. Der Islam wird nicht erwähnt. Ist das ein Fehler?
Das zeugt von Unwissenheit. Vielleicht liegt es daran, dass der Islam nicht als eine religiöse, sondern nur als eine politische Lehre verstanden wird. Das muss sich ändern. Christentum, Islam und Judentum müssen irgendwann in einer christlich-demokratischen Partei auf gleicher Augenhöhe stehen.
Angela Merkel hat die multikulturelle Gesellschaft für gescheitert erklärt. Halten Sie an diesem Begriff fest?
Fakt ist, dass diese Gesellschaft vielfältig ist und mehrere Identitäten hat. Ob man das jetzt multikulturell oder interkulturell nennt, ist mir egal. Auf der politische Ebene ist die multikulturelle Gesellschaft gescheitert, weil man es versäumt hat, in 40 Jahren ein Intergrationskonzept zu entwickeln. Doch an der Basis sieht es ganz anders aus, hier wird Multikulturalität gelebt.
Morgen findet die Demonstration gegen rechts statt, die in der CDU umstritten war. Werden Sie hingehen?
Selbstverständlich. Doch es ist schade, dass das Land jetzt erst aufsteht. Wir hätten viel früher auf die Straße gehen müssen. Meine Sorge ist es, dass nach der Demo nichts mehr von Seiten der Politik passiert. Die Stimmen dürfen parteiübergreifend nicht verstummen. Es ist eine Alibiveranstaltung, wenn nach der Demonstration keine Konsequenzen folgen.
Interview: JULIA NAUMANN
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