: Abreibungen für die DDR
■ Der Berliner Maler und Graphiker Manfred Butzmann hat schon SED-Größen das Fürchten gelehrt. Jetzt legt er sich auch mit BRD-Investoren an. Im Haus der Bürgerschaft ist gerade eine Ausstellung seiner Abreibungen zu sehen
In den Klusfelsen in der Halberstädter Schweiz haben Menschen Spuren eingeschrieben: Kyrillische Buchstaben, der Davidstern, ein Hakenkreuz und andere Zeichen haben die Felsen zu einem Tagebuch der Epochen werden lassen. Der Berliner Graphiker und Maler Manfred Butzmann hat diese Zeichen in Abreibungen dokumentiert und zeigt sie mit anderen in dieser Technik entstandenen Bildern im Haus der Bürgerschaft. Der Rechtswissenschaftler und frühere Geschäftsführer der Bremer CDU, Prof. Erich Röper, hat die Ausstellung besucht und für die taz eine Würdigung dieses außergewöhnlichen Künstlers geschrieben.
Im Sommer 1995 lernten wir uns kennen. Meine Frau und ich nahmen an einer Kunstakademie an der Hochschule Wismar teil. Manfred Butzmann war einer der Lehrer. Gemeinsam lagen wir drei Wochen auf den Knien in der Nicolai-Kirche, auf dem Marktplatz, in einer Fabrik und machten Abreibungen; wir zeichneten die Kirchen und Denkmale, schufen mit der Farbrolle ihr Abbild. Die Formenvielfalt alter Grabsteine oder der Reifen-spuren im weichen DDR-Asphalt ist erstaunlich. Sie hatten es Butzmann besonders angetan; mit seiner Kunst wollte er Geschichte dokumentieren, da der Asphalt durch die härtere Westversion ersetzt wurde. Darum auch sein Bemühen, die alten Hinterlassenschaften der Sowjetsoldaten oder neuen Zumutungen Rechtsradikaler authentisch zu dokumentieren.
Butzmann will nicht nur dokumentieren. Er will mit seinen Mitteln die Welt gestalten. Daher redeten wir über die Rolle eines aktiven Künstlers in der DDR, der mitbestimmen wollte, was um ihn herum geschah. Kunst zu politischer Meinungsäußerung hat in Demokratien des 21. Jahrhunderts mit ihrer Bilder- und Reizüberflutung nachgeordnete Bedeutung. Das ist in geschlossenen totalitären Gesellschaften anders. Wer aus der geistigen Gleichschaltung ausbricht, gefährdet das Bild der Einheit, das die Regime vermitteln wollen.
Genau das tat der „Pankower Überzeugungstäter“, wie die FAZ schrieb, „der durch seine heimatkundlichen Aktionen Politiker vor wie nach der Wende das Fürchten lehrte.“ Die Abreibungen, Kollagen, Zeichnungen zeigen eine Wirklichkeit, die nicht die der offiziellen Propaganda war. So nimmt sein Kirchentagsplakat aus den 80ern das Kreuzsymbol am Müllcontainer auf, was zweideutig zu verstehen war. Die Zeichnungen und Aquarelle aus der Armeezeit widerstrebten nicht nur dem Klassenbewusstsein. Sie „gehören zum Besten der Berliner Schule. Gefordert und inspiriert durch meisterliche Lehrer zählt Butzmann längst selbst zu den Meistern“, sagte der Berliner Lyriker Jürgen Rennert bei der Ausstellungseröffnung.
Im Kampf um kommunale Einrichtungen seiner Heimat Berlin und vor allem seines Bezirks Pankow ist Manfred Butzmann frontal angetreten. Er hatte manchen Erfolg, mehr, unmittelbarer als der ihm vergleichbare Klaus Staeck im Westen. Nicht nur konnte er Pankows Abenteuerspielplatz erhalten. Berlins SED-Parteichef Günter Schabowski sah ein, dass ein Verbot mehr Probleme brächte als der Druck von hundert seiner Plakate.
Für den Widerstand in der DDR bekam Butzmann das Bundesverdienstkreuz. Aber auch nach der Wende ist er, was er war, Demokrat an der Seite der Unterprivilegierten, Unterdrückten. Wieder sind es zuerst kommunale Anliegen. In manchem ist der Kampf härter. Mit Schabowski war ein Deal möglich. Investoren, die auf dem Kinderspielplatz bauen wollen, sind eine härtere Nuss. Teils konnte er sich durchsetzen und verhinderte den Verkauf der historischen Herz Jesu-Kapelle an der Parkstraße an Investoren und den Abriss.
Auch darüber hinaus tritt Manfred Butzmann wieder an. Mit den Bezirken Tiergarten, Mitte und Friedrichshain – partei- und grenzübergreifend – setzte er durch, den Platz vor dem Brandenburger Tor denen zu widmen, die dort am 18. März 1848 Soldaten des preußischen Obrigkeitsstaats niederkartätschten. Berlins Senat lehnte das lange Jahre ab. Offenbar war nicht zuzumuten, in der Hauptstadt positiv an Revolutionäre zu erinnern, obwohl sie für die Freiheit starben, welche die Politiker im Zusammenhang mit der Implosion des real existierenden Sozialismus zu preisen, nicht müde werden.
Wer nie in der DDR war, nahm sie meist monolithisch, zumindest aber grau in grau wahr. Beides entsprach nicht der Wirklichkeit. So brachte ein differenziertes künstlerisches Leben viel Farbe in diesen Staat. Genannt sei nur Werner Tübke, dessen Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen altmeisterlich mit vielen Bezügen zur Gegenwart zu den Umwälzungen des 16. Jahrhunderts Stellung nimmt, aber eben kein Propagandabild oder gegenstandslos ist. Und da ist der Künstler Manfred Butzmann, der vor und nach der Wende mit feinen Mitteln ausdauernd für eine bessere Welt kämpfte und kämpft.
Erich Röper
bis zum 23. November zu sehen
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