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Deutsche Herrenrunde

Der Historiker Heinrich August Winkler stellte im Magnus-Haus sein Buch „Der lange Weg nach Westen“ vor und diskutierte mit Außenminister Fischer und dem ehemaligen Stasi-Beauftragten Joachim Gauck das „Ende der Deutschen Sonderwege“

Wenn der Historiker Heinrich August Winkler einen Text publiziert, kann er sich der Aufmerksamkeit der politischen Klasse gewiss sein. Weit mehr als nur Wissenschaftler, ist Winkler auch Kommentator der neueren politischen Entwicklungen. Als solcher hat das langjährige SPD-Mitglied auch sein neuestes Werk „Der lange Weg nach Westen“, verfasst, dessen zweiter Band soeben erschienen ist.

Das umfangreiche Werk ist mehr als nur eine Analyse der historischen Abläufe des Deutschen Wesens und Wirkens im 20. Jahrhundert, es soll auch explizit dazu dienen, die deutsche Geschichte daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht bei allen „Irrungen“ eine Geschichte des Erfolges sei. Winkler wäre nicht der glühende Sozialdemokrat, der er ist, wenn er nicht mit der Wiedervereinigung diesen Erfolg als gegeben annähme. Deutschland sei im Westen angekommen. So war es auch das Ziel der am Mittwoch stattfindenden Buchvorstellung, eben diesen Erfolg festzustellen. Der Vorsteher der Evangelischen Akademie, Robert Leicht, der Pfarrer Joachim Gauck und nicht zuletzt Bundesaußenminister Joschka Fischer setzten sich mit Winkler an einen Tisch, um „das Ende der Deutschen Sonderwege“ zu diskutieren. Das gediegene Magnus-Haus am Kupfergraben leuchtete festlich, der Saal des Hauses war gut gefüllt. Auch die Politprominenz gab sich die Ehre. Die Runde war sich einig, dass die beiden deutschen „Sonderwege“, also der Realsozialismus in der DDR und die Teilung einerseits, die „Hitlerei“ (Fischer) andererseits, in der Wiedervereinigung quasi aufgehoben seien.

Doch entwickelte sich ein leichter Dissens darüber, ob denn Deutschland sich auch gleich für seine neue Nationalstaatlichkeit begeistern sollte. Winkler hatte bereits Mitte der Neunziger bekannt, dass es im Historikerstreit sein Fehler gewesen sei, aufgrund der Nazizeit von einer nationalstaatlichen Idee Abstand zu nehmen. Er stimme Willi Brandt zu, der gesagt hatte, dass die Überwindung der Teilung und die deutsche Auschwitz-Schuld zwei verschiedene Themen seien. Insofern stünde also einem Nationalbewusstsein nichts entgegen. Joachim Gauck wiederum leitete aus der „Angst“ der Ostdeutschen vor der Europäisierung das Recht ab, ein Nationalbewusstsein entwickeln zu dürfen. Man müsse zu einer Verantwortung und einer verantwortlichen Rolle in Europa kommen, um wirklich „erwachsen“ zu sein. Als Beleg für das Wahrnehmen dieser speziellen deutschen Verantwortung nannte Gauck ausgerechnet das Bombardement Serbiens. Niemand buhte. So blieb Fischer die Rolle des Mahners, der mit herrischer Streitlust reagierte und sich in den Stuhl fläzte mit der Miene des täglich aktiven Staatsmannes. Zuweilen vergrub er sein von Staatsmannssorge gezeichnetes Gesicht in seiner rechten Hand, genervt, da er als Einziger an jener Front arbeitet, über die die rüstigen Herren hier schwadronierten. Fischer also sprach: „Wir“ fänden „uns“ gerade in die europäische Rolle, und würden sicher bald – eingebunden in eine starke Gemeinschaft – ein „normales“ Land. Doch sei es auch ein ewiger Kampf gegen Kräfte, die Deutschland in einen Sonderweg zu führen gedächten. Da sei die Grenze noch „hauchdünn“.

Vizekanzlers Worte – auf dass die Leute sein tägliches Ringen gegen das Böse spüren und goutieren mochten. Und tatsächlich schien jener, der mit Auschwitz Kriege rechtfertigt und nach WEU und deutscher Hegemonie strebt, damit den Kritiker gemacht zu haben. Als er aber dem Winklerschen Begriff von „Nationalstaat“ zustimmte, „wenn Sie damit nur meinen, was ich meine“ – da klatschte der H. August in die Hände und die Herren lachten glücklich. Und wurden gesellig. JÖRG SUNDERMEIER

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