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In dubio pro reo: Freispruch für Bauarbeiter

Anklage warf 25-Jährigem schwere Körperverletzung vor. Polnischer Punk war nach einer Prügelei mit ihm von S-Bahn überrollt worden

Obwohl ihn gestern ein Zeuge noch einmal schwer belastete, ist der 25-jährige Bauarbeiter Ronny K. vom Amtsgericht Tiergarten vom Vorwurf der schweren Körperverletzung freigesprochen worden. Im Juli vergangenen Jahres hatte sich der Angeklagte auf dem S-Bahnhof Greifswalder Straße in Prenzlauer Berg mit dem polnischen Punk Krystian W. geprügelt. Dabei war der 24-jährige Pole auf die Gleise gefallen und von einer S-Bahn überrollt worden. Ihm mussten ein Arm und ein Bein amputiert werden. Obwohl der Punk, der sich illegal in Berlin aufhielt, für die gestrige Sitzung eine Vorladung vor Gericht hatte, war er am vergangenen Freitag abgeschoben worden.

Dem mehrfach unter anderem wegen schwerer Körperverletzung vorbestraften Ronny K. warf die Anklage zusätzlich vor, verfassungsfeindliche Embleme öffentlich zur Schau gestellt zu haben: Der Bauarbeiter hatte zur Tatzeit ein Hakenkreuz-Tattoo auf einem Arm, das er sich aber mittlerweile übertatowieren ließ: K. betonte, er habe diese Einstellung nicht mehr. Ein Kumpel Krystians, der überraschenderweise in klassischer Skinhead-Kleidung vor Gericht erschien, belastete den Angeklagten gestern: Nach seinem Eindruck habe Ronny K. den Polen mit einer Ratsche, einem Gerüstbauer-Werkzeug, vor sich hergetrieben. Dabei habe Krystian W. das Gleichgewicht verloren und sei auf die Gleise gefallen.

Angesichts widersprüchlicher Zeugenaussagen bezweifelte selbst die Staatsanwaltschaft, ob Ronny K. vorsätzlich den Sturz Krystian W.s verursacht habe: Deshalb beantragte sie seinen Freispruch. Diese Ansicht vertrat auch die Verteidigung. Nur die Nebenklage sah den Haupttatvorwurf als erwiesen an.

Das Gericht bescheinigte dem Angeklagten, weder ein verfassungsfeindliches Emblem zur Schau gestellt noch Krystian W. schwer verletzt zu haben. Nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ könnten ihm beide Tatvorwürfe nicht nachgewiesen werden. Die Richterin glaubte Aussagen „neutraler“ Zeugen, wonach der Streit auf dem Bahngleis von Krystian W. ausgegangen sei. Ronny K. habe sich „in einem vertretbaren Maße“ zur Wehr gesetzt. Er habe in Notwehr gehandelt, das Geschehen sei ein „Unfall“ gewesen.

Sozialarbeiter, die sich um den in Polen derzeit offenbar untergetauchten Krystian W. kümmern, zeigten sich bestürzt über das Urteil. Der Nebenkläger behält sich nach Prüfung des Urteils eine Berufung vor.

PHILIPP GESSLER

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