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Der ausgleichende Manager

Frank Bsirske wurde zum neuen Vorsitzenden der Gewerkschaft ÖTV gewählt

Das hätte sich Frank Bsirske vor drei Tagen sicher nicht träumen lassen. Da fährt er auf den Gewerkschaftstag der ÖTV nach Leipzig als ganz normales Gewerkschaftsmitglied und kommt als neuer Chef wieder heraus. Keiner der ÖTV-Landeschefs wollte gestern den Posten des Gewerkschaftsbosses geschenkt haben. Das war die Chance für den mutigen Mann aus Hannover.

Mit 94 Prozent der Stimmen wählten die ÖTV-Delegierten gestern Bsirske. Der 48-Jährige ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und derzeit Personaldezernent der Landeshauptstadt Hannover. Bis vor drei Jahren arbeitete er als stellvertretender Bezirksvorsitzender der ÖTV Niedersachsen. Der Politikwissenschaftler kennt also gleichermaßen die Gewerkschafts- und auch die Arbeitgeberseite. Diese doppelte Erfahrung dürfte ein wesentlicher Grund sein, warum der Hauptvorstand der ÖTV ihn zur Nachfolge von Herbert Mai nominierte. Mai war nach dem mageren Abstimmungsergebnis zur Neugründung von Ver.di zurückgetreten.

Mit seiner Tätigkeit als Personaldezernent in Hannover trieb Bsirske in den vergangenen Jahren vor allem die Dezentralisierung der Verwaltung voran. Seine Idee, Amtsleiterstellen vorerst nur noch befristet zu vergeben, fand bundesweit Anerkennung. Die Arbeitszeiten in der Verwaltung richtete er mehr nach Bürgerwünschen aus. Bsirske gilt als Schnelldenker, eloquenter Redner und durchsetzungsfähig. Außerdem ist er anpassungsfähig: Befürchtungen, ein grüner Gewerkschaftschef werde nicht die Rechte der Arbeitnehmer vertreten, versuchte er gestern auszuräumen. „Das Parteibuch sagt wenig darüber aus, ob jemand eine Meise hat“, meinte er. Er unterstütze die Position der ÖTV, Arbeitsplätze in der Atomenergie trotz Kraftwerksstilllegungen zu erhalten.

Bsirske wird von vielen als parteiübergreifender „Manager“ geschätzt. Und diese Fähigkeit wird er dringend brauchen: Der Hannoveraner will die ÖTV dazu bringen, im März kommenden Jahres mehrheitlich für die Verschmelzung mit vier anderen Gewerkschaften zur Superorganisation Ver.di zu stimmen. Danach verliert er notgedrungen seinen ÖTV-Vorsitz und hat aufgrund der kurzen Amtszeit eher geringe Chancen, auch Ver.di-Chef zu werden. Als Favoritin für den Ver.di-Vorsitz gilt die derzeitige HBV-Chefin Margret Mönig-Raane. Da Bsirske aber durch den Wechsel an die ÖTV-Spitze auch seinen wohldotierten Posten in der Hannoveraner Verwaltung aufgibt, wird er bei der Neuverteilung der Ver.di-Funktionen wohl kaum leer ausgehen.

BARBARA DRIBBUSCH

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