: Waller Fleet: Der Letzte soll das Licht ausmachen
■ Die Nachbarn der Kaisen-Auswohner sollen raus aus dem Parzellengebiet Waller Fleet / Fast einstimmig billigt der Waller Beirat „Maßnahmen“ gegen sie
„Wie sagt noch der Kleingärtner: Wat mutt dat mutt“ – Hans-Peter Mester, Ortsamtsleiter West und damit unter anderem für das Parzellengebiet in der Waller Feldmark zuständig, versucht leutselig ins Thema einzuführen. Auf der Beiratssitzung wird die langfristige Räumung des Parzellengebietes westlich des Waller Fleets von allen „illegalen Bewohnern“ verhandelt. Genau die sind auch da und mit ihnen legale Bewohner und Bewirtschafter der Parzellen westlich des Waller Fleets. Über 250 Menschen sitzen, stehen, reden in der Aula der Schule am Waller Ring.
Christine Wischer, SPD-Bausenatorin, betritt mit wenig Verspätung den Saal. Das Volk murrt. Die so genannte Bereinigung des Kleingartengebiets geht zurück auf einen Senatsbeschluss vor zwei Wochen – jetzt soll die verantwortliche Senatorin vor dem Beirat das weitere Verfahren erläutern.
„Verstehen Sie uns nicht falsch, es geht hier nicht darum, Kritik an bestimmten Lebensstilen zu äußern. Obwohl ich weiß, dass die Durchsetzung der Bereinigung für manche lebensgeschichtlich eine bittere Zäsur ist.“ Frau Wischer gibt sich an diesem Abend milde im Ton, aber hart in der Sache. „Sie wissen alle, dass die Wohnnutzungen sicherheitstechnisch nicht tragbar sind. Es ist uns auch nicht egal, dass die Erde dort kontaminiert wird durch Abwässer und die falsche Entsorgung von Altöl.“ Eine Frau meldet sich zu Wort und tritt wie alle anderen an diesem Abend gesittet und nach Rednerliste ans Mikro: „Ich weiß noch aus meiner Kindheit, dass hier drei Müllhalden waren, dann hat die Stadt Erde drüber gemacht und jetzt wächst da Gras. Und Sie wollen uns was von Ökologie erzählen? Ach ja, ich bin übrigens eine von den Illegalen.“
Die knapp 50-Jährige gehört genau zu der Gruppe, die die Auflösung der Wohnnutzung dort so besonders problematisch macht. Das kleine Häuschen im Waller Fleet, in dem sie heute noch wohnt – nicht als Aussteigerin, nicht als Öko-Freak, sondern „ganz normal“ – , hat ihr Großvater gebaut. Das Wohnrecht dieser Nachkriegs-Kaisenbewohner soll durch die Bereinigung nicht angetastet werden, aber Frau Wischer muss an diesem Abend erfahren, dass sich das Parzellendorf im Waller Fleet nicht spalten lässt. „Kaisenbewohner sind keine aussterbende Gattung. Sie haben Kinder. Sie sind alt und sie haben Angst davor, dass im Nachbarhaus das Licht ausbleibt und das Grundstück verwildert“, sagt ein anderer Nachfahre. Und er fasst unter Applaus für alle zusammen: „Was der Senat vorschlägt, heißt nicht anderes als: Der Letzte macht das Licht aus.“
Der Senat in Person von Christine Wischer schlägt einen runden Tisch vor. An dem sollen Leute aus der Sozialbehörde, aus dem Beirat, Interessensvertreter aus dem Gebiet und natürlich die Baubehörde teilnehmen. Friedlich und „im Team“ solle die Sache so gelöst werden. Die Anwesenden sind misstrauisch: „Sie wollen doch nur den Senatsbeschluss exekutieren – man kann auch sanft enteignen.“ „Und wenn Sie uns da weg haben, dann machen sie da ein Gewerbegebiet drauf“, mutmaßt ein anderer. Eine junge Frau glaubt, dass „die Politik aus dem Weidedamm III gelernt hat. Unsere Parzellen sind ihnen zu unübersichtlich, da haben sie so leicht keinen Zugriff. Jetzt wollen sie daraus ein disponibles Gebiet machen.“
PDS-Beiratsmitglied Herbert Thomsen sieht das ähnlich. „Die Bereinigung ist ein ordnungspolitischer Akt. Mit Interesse an der Erhaltung des Kleingartengebietes hat dieser Vorgang überhaupt nichts zu tun.“ In der Tat, gibt auch Frau Wischer zu, „sind ungeordnete Wohngebiete keine Perspektive für unsere Stadt.“ Aber letztlich ginge es ihr um den Erhalt des Gebiets als „parkähnliche Veranstaltung“. Mit Rechtsbeistand Reinhard Viering aus der Baubehörde stellt sie noch einmal die Zwangslage der Behörde klar: „Die Gerichte sitzen uns im Nacken. Wenn wir das Wohnen hier noch weiter dulden, dann laufen uns auch die anderen Grüngebiete mit illegalen Nutzungen voll“. Der Satz steht fast wörtlich auch in der Senatsvorlage – und die stammt dem Vernehmen nach noch aus den Zeiten des CDU-Bausenators Bernt Schulte.
Dass SPD-Frau Wischer mit diesem Jargon keine Probleme hat, ist nicht die einzige Überraschung an diesem Abend. Der 17-köpfige Beirat selbst diskutiert das ernste Stadtteil-Problem erst gar nicht. Beiratssprecher Gerd-Rüdiger Kück (SPD) verliest am Ende der Sitzung einen Beschluss, den CDU, SPD und Grüne gemeinsam unterzeichnet haben. Darin heißt es, das Gebiet bedürfe dringend der Aufwertung und Sanierung. Der Beirat unterstütze alle vom Senat vorgeschlagenen Maßnahmen. Durch illegale Wohnnutzungen sei ein rechtsfreier Raum entstanden.
Und Kück ergänzt „Wenn wir jetzt nicht mitziehen bei der Bereinigung, dann kann es sein, dass das Gebiet zum Baugebiet erklärt wird – und was dann passiert, kann uns allen nicht recht sein.“ Mit dieser drohenden Andeutung entläßt der Beirat das Publikum in die Nacht. Das Volk murrt immer noch. Hier und da blitzen in der Dunkelheit die mitgebrachten Taschenlampen auf.
Elke Heyduck
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