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Wer rettet diese Insel?

von MAIKE RADEMAKER

Hans Brinker hat einmal eine drohende Überschwemmung der Niederlande durch eine einfache Aktion verhindert: Er steckte einen Finger in das Loch im Deich. Das, sagt die Geschichte, hat ihn zum niederländischen Nationalhelden gemacht. Heute beginnt im niederländischen Regierungssitz Den Haag die Weltklimakonferenz (COP 6). Deren Ausgang wird festlegen, ob sich die Regierungsvertreter auf mehr einigen können als einen Finger im Deich, um der Klimaveränderung vorzubeugen.

Die blüht der Erde bald. Da sind sich die Wissenschaftler des internationalen UN-Klimarates (IPCC) einig. Die Vorboten der vorausgesagten Erwärmung erleben Menschen immer häufiger mit extrem warmen Jahren und Naturkatastrophen. Für das 21. Jahrhundert hat das Gremium einen Temperaturanstieg von bis zu sechs Grad vorausgesagt. Die Folgen, so neue Studien, würden nicht nur kleine Südseeinseln treffen, die durch den Anstieg des Meeresspiegels untergehen könnten, und die Entwicklungsländer.

In den USA, die allein für 36 Prozent der Kohlendioxidemission der Welt verantwortlich sind, erwarten die Experten „steigende Infrastrukturschäden“ an den Küsten und das Verschwinden ganzer Waldregionen. Auch für Europa, vornehmlich den Süden, werden Folgen wie Dürren prognostiziert.

Über 160 Regierungsdelegierte werden nun zwei Wochen lang diskutieren, welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, damit die Industriestaaten einwilligen, das 1997 beschlossene Kyoto-Protokoll zu ratifizieren (siehe Kasten). Nach der Erfahrung der letzten Klimakonferenzen mit ihren Streitereien ist die Befürchtung bei allen Beteiligten groß, dass in Den Haag nur Käse herauskommt: Schon mit Substanz, aber eben auch mit vielen Schlupflöchern für Regierungen und Industrie.

Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes, vergleicht die Suche nach den Schlupflöchern mit einem Autofahrer, dem ein Kind vor die Kühlerhaube läuft: „Der Fahrer hofft bis zur letzten Sekunde, dass das Kind wegläuft. Aber der Klimaveränderung kann man nicht ausweichen.“

Die Kohlendioxid-Frage

Zu lösen haben die Delegierten auf der Konferenz noch viele Konflikte. Obwohl schon oft debattiert, haben sich die Europäische Union und die USA bisher nicht einigen können, wo Kohlendioxidemissionen gespart werden dürfen. Während die USA aus wirtschaftlichen Gründen ihrer Industrie erlauben möchten, unbegrenzt Emissionen im Ausland „sparen“ zu können, indem sie beispielsweise dort gebaute Wasserkraftwerke sich selbst gutschreiben, bestehen die Europäer darauf, dass die Emissionen mindestens zur Hälfte im eigenen Land reduziert werden müssen.

Heftig umstritten sind auch die Frage der Klimafreundlichkeit von Atomkraftwerken, sowie die der „Senken“ – das ist die Frage, inwieweit Wälder, die weltweit gigantische CO2-Speicher darstellen, als solche anerkannt werden können. Kann es sich ein Land auf sein Kohlendioxidkonto schon gutschreiben, wenn es Waldbrände verhindert? Oder erst dann, wenn neue Wälder angepflanzt werden? Würden die „Senken“ in die Maßnahmen mit einbezogen, brauchten viele Industrieländer mit Verweis auf ihre Waldarbeit kaum mehr die CO2-Emission zu reduzieren.

Stephan Singer, Klimaexperte des World Wide Fund for Nature (WWF), kann über diese Diskussion nur den Kopf schütteln: „Sie sind sich nicht mal einig, was ein Wald ist, ob das erst bei einem dichten Wald anfängt oder ein paar Bäumen. Wie soll da entschieden werden, wie viel Kohlenstoff auf welche Seite gerechnet wird?“

Es ist ungeklärt, wie mit den Klimaschutzsündern umgegangen werden soll. Dazu gehören Länder, die falsche Angaben zu Emissionen und Reduktionen machen, und solche, die sich schlicht nicht an das vereinbarte Ziel halten. Von Bußgeld bis zu sanften Ermahnungen mit Nachhilfeunterricht reicht die Palette der Vorschläge.

Dabei müsste sich so manch ein Land, das mit dem Zeigefinger auf Sünder zeigt, selbst anklagen: Die Schätzungen über die eigenen Emissionen sind aufgrund schwieriger Messungen zwangsläufig ungenau und können eine Fehlerquote von 5 bis 10 Prozent haben.

Das Ergebnis der Konferenz wird zeigen, ob eine Bereitschaft da ist, offensiv in den Klimaschutz einzusteigen. Bisher haben vor allem die USA immer wieder gesagt, dass sie nicht bereit sind, das Protokoll zu ratifizieren. Der internationale Druck, erfolgreich zu verhandeln, liegt allerdings auch auf den Amerikanern: Präsident Bill Clinton ermahnte in einer Internetansprache am vergangenen Samstag vor allem die US-Energieindustrie, im eigenen Land Emissionen zu reduzieren. Er forderte einen „tief greifenden neuen Ansatz“ dafür.

Während die Verhandlungsführer in Den Haag um die Spielregeln feilschen, wird auf der grünen Wiese längst gespielt: Allein 140 probehalber anerkannte „gemeinsame Aktionen“ gibt es weltweit bereits, bei denen ein Industrieland in einem anderen in emissionssparende Projekte investiert. So hilft Norwegen in Polen, 30 Heizkraftwerke von Kohle auf Gas umzustellen. In Mexiko wurden über 200.000 Glühlampen durch effizientere ausgetauscht. England stellt 30 Millionen Pfund für eine Börse um Emissionsrechte bereit, in der Hoffnung, dass London europäischer Umschlagplatz dafür wird.

Es müssen 80 Prozent sein

Was auch immer in Den Haag herauskommt, es kann nur der erste Schritt sein. Denn, sagt der Klimawissenschaftler Hartmut Schellnhuber vom Klimafolgenforschungs-Institut in Potsdam: Reduziert werden müssen für einen wirksamen Klimaschutz nicht 5, sondern 80 Prozent der Emissionen. Selbst dann ist nicht sicher, dass den Niederländern erspart bleibt, worüber sie bereits nachdenken. Der Platz, wo heute die Konferenz beginnt, liegt an der Küste. Bei steigendem Meeresspiegel müsste dort geräumt werden.

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