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Der Scheich fährt zum Deich

■ Die Scientologen-Villa am Osterdeich ist verkauft / Ein Achimer Arzt will ein privates Medizinzentrum aufbauen, in dem Manager abends noch eine Krone bekommen sollen

Die Scientologen sind raus, jetzt kommen die Schönen und Reichen: Die denkmalgeschützte Villa am Osterdeich 27 ist verkauft. Seit gut sechs Wochen heißt der neue Besitzer Jens Koberstein – ein Arzt aus Achim, der Großes mit dem Haus vorhat. Das muss er auch, damit sich der Kaufpreis wieder einspielt. 2,6 Millionen Mark habe er für das Gebäude hingelegt, berichtet Koberstein, rund vier Millionen Mark rechnet er für die anstehende Restaurierung. Derzeit laufen die ersten Sicherheitsmaßnahmen in dem Haus mit feuchten Wänden und Blattgold-Decken, in einem Jahr soll das Haus dann wieder so ähnlich aussehen, wie es ein reicher Bremer Baumwollhändler vor 120 Jahren erbauen ließ. Um die Jahrhundertwende war es an einen Reeder verkauft worden, die Nazis unterhielten hier ein Offizierscasino. Nach dem Krieg hatte die Stadt als Eigentümerin verschiedene Behörden hier untergebracht, bevor es für acht Jahre in die Hände der Scientologen gefallen war.

Im Frühjahr 2001 soll das Haus nun wieder seine Pforten öffnen – als privates Medizinzentrum für zahlungskräftige Klientel. Nicht im Sinne eines Ärztehauses, sondern mehr nach dem Vorbild der amerikanischen „Medical Center“ will Koberstein verschiedene medizinische Disziplinen unter einem Dach versammeln. Vertreter von 15 Fachrichtungen, vom Kinder- und Zahnarzt über plastische Chirurgen bis hin zum Internisten, Haut- oder Augenarzt sollen hier ihre Dienste anbieten.

Ein Teil des 1.500 Quadratmeter großen Hauses soll dabei der Schönheit gewidmet werden: Das Sockelgeschoss wird zur Wellness-Einheit. Von der Fangopackung bis zur Nasenbegradigung ist da ein breites Spektrum zu erwarten. Als exklusive Beauty-Farm will Koberstein sein Projekt dennoch nicht gewertet sehen. „Der Sinn der Sache ist: Medizin erster Klasse zu bieten.“ Koberstein zählt auf den gestressten Manager, der nicht warten will und sich über einen Zahnarzttermin um 21 Uhr freut.

Einen Teil der zukünftigen Mitarbeiter will der frühere Achimer Truppenarzt, der in dem neuen Haus nicht praktizieren sondern nur managen wird, schon gefunden haben. Ein Hautarzt aus der Berliner Charité sei ebenso gewonnen worden wie ein Augenarzt aus der Uni-Klinik Jena oder ein Kieferarzt aus Hamburg. Die Idee für das private Medizinzentrum geht auf seine „Pavillon-Praxis“ in Achim zurück, wo derzeit rund zehn Fachrichtungen vertreten seien. Die Orientierung auf die Patienten hin habe sich zum ökonomischen „Selbstläufer“ gemausert. Inzwischen hat Koberstein so viel Selbstvertrauen, dass er mit der Betrei-bergesellschaft des Achimer und zukünftigen Bremer Medizinzentrums „Pro Vita Medic“ auch in Hannover und Hamburg aktiv werden will. Das Geld für die Expansion kommt laut Koberstein aus dem „Familienbereich“, aus seinem eigenen Portemonnaie und aus Einlagen der Ärzte.

In Achim allerdings hat sich der studierte Arzt und Betriebswirt mit seinen Aktivitäten nicht nur Freunde gemacht. Von Anfang an auf private Patienten setzend, hatte er sich auf Notfallmedizin spezialisiert. Gegen Bares sind Ärzte Tag und Nacht abrufbar. Die Kollegen in Achim reagierten teilweise pikiert, wucherte der Neue doch in angestammten Marktnischen. Inzwischen soll man sich in der Kleinstadt jedoch an den Arzt gewöhnt haben. Christoph Dowe

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