: Alex verkehrt: Werbung statt Kunst
Kultursenator Christoph Stölzl streicht dem Projekt „Berlin Alexanderplatz U 2“ die Gelder. Damit steht Berlins wohl publikumswirksamste Galerie vor dem Aus. Ist in der Hauptstadt kein Platz für „Kunst statt Werbung? Kein Nachruf
von UWE RADA
Wer kennt sie nicht, die Bilder, Montagen, Grafiken, Agitprop-Plakate auf dem Bahnsteig der U 2 am Alexanderplatz? Einmal keine H & M-Werbung, keine Bewag, die uns schon am Mittag unter Strom setzt, kein RTL 2. Wir sind auch so dabei. Mit all unseren Sinnen, unserer Aufmerksamkeit, unseren inneren Bildern. Kunst statt Werbung.
So beginnt eigentlich kein Nachruf, und dennoch müsste ein solcher an dieser Stelle geschrieben werden. Ein Nachruf an die bildende Kunst auf dem Alexanderplatz, die vielleicht längste, sicher aber publikumswirksamste Galerie der Stadt, ein Stück über die Kunst im öffentlichen Raum und den, der ihr das Ende versetzt: Kultursenator Christoph Stölzl. Stölzl hat dem Unterausschuss Theater des Abgeordnetenhauses am 6. November eine Beschlussfassung vorgelegt, die die Streichung der 214.000 Mark für das Projekt „Alexanderplatz U 2“ vorsieht. Nur zum Vergleich: Allein die drei Berliner Opern bekommen jährlich Subventionen in Höhe von 230 Millionen Mark.
An dieser Stelle soll freilich nicht über das Missverhältnis zwischen Leuchttürmen und Off-Kultur lamentiert werden, sondern von einem Projekt die Rede sein, das selbst der Kultursenator, sein Totengräber, einmal zu Lobesprosa hingerissen hat: „Das Projekt ‚Kunst statt Werbung‘ bietet die Möglichkeit des Experimentierens im Bereich‚ Kunst im öffentlichen Raum‘“, sagte Stölzl noch im Mai. „Es fungiert als Plattform für die Kommunikation mit dem Publikum und bewirkt alljährlich eine eindrucksvolle Metamorphose des gesamten Raumes.“
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, zumal sich der jährliche Rhythmus aus Ausschreibung, Projektanträgen und Jurydebatten des seit 1991 laufenden Wettbewerbs keineswegs überlebt hat. Im Gegenteil: „Gerade in letzter Zeit ist es uns gelungen, Projekte zu realisieren, die wirklich aufregend waren und die über die herkömmliche Präsentation der Arbeiten an den Plakatwänden hinausgingen“, sagt Leonie Baumann, die Geschäftsführerin der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK). Für eine Verwaltungspauschale von nur 5.000 Mark jährlich organisiert ein ganzes Team der NGBK Projektierung und Umsetzung von „Kunst statt Werbung“ – ehrenamtlich, versteht sich.
Und wirklich: Mit Projekten wie „Common Place“ von Folke Koebberling, die das Publikum am Ausstellungsprozess nicht nur beteiligte, sondern es sogar zu Akteuren machte, sprengte das „Berlin Alexanderplatz U 2“ den herkömmlichen Rahmen einer Bahnsteiggalerie. Mit seiner Collage aus subjektiven Nutzerprofilen von Alexbesuchern war es vielmehr Teil einer neuen Kulturgeografie, die sich derzeit unter und über und um den Alexanderplatz herausbildet. Attraktiver könnte eine Kunstszene gar nicht sein, die man sich als Kultursenator wünschen müsste.
Und angriffslustiger auch nicht. „Kunst im öffentlichen Raum muss sich per se gegen den Vorwurf behaupten, Placebo zu sein“, umreißt die Arbeitsgruppe „Alexanderplatz U 2“ in der NGBK ihr Selbstverständnis. Anders formuliert: Kunst im öffentlichen Raum ist – im besten Falle – immer auch politisch. So wie sich politisch engagierte Projekte in der Vergangenheit mehr und mehr künstlerischer Mittel bedienten. Auch dieses Ineinandergreifen im öffentlichen Raum ist etwas, das Berlin von anderen Städten unterscheidet.
Am 7. Dezember wird das Abgeordnetenhaus endgültig über den Haushalt entscheiden. So enden Nachrufe. Enden sie so?
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