: Der Kalif bleibt hinter Gittern
Das OLG Düsseldorf verurteilte den Islamistenführer Metin Kaplan wegen des Aufrufs zum Mord zu vier Jahren Haft. Drei Morde im Umfeld der Kaplan-Jünger warten noch auf Aufklärung. Die Mörder des Gegenkalifen sollen nach Usbekistan geflüchtet sein
aus Düsseldorf MARCUS MEIER
Stundenlang verharrt der weißbärtige Muslim regungslos vor der Außenstelle des Düsseldorfer Oberlandesgerichts und hält zwei Fahnen von sich gestreckt. Auf beiden steht in arabischen Schriftzeichen: „Außer Allah gibt es keinen Gott, und Mohammed ist sein Prophet und Gesandter. Kalifatstaat“. Neben ihm skandieren rund 150 Demonstranten „Freiheit für den Kalifen“. Vergeblich.
Gestern verurteilte der Sechste Senat des Oberlandesgerichts Düsseldorf den 48-jährigen Kalifatstaats-Führer Metin Kaplan nach neunmonatiger Verhandlung zu einer Haftstrafe von vier Jahren – wegen des Aufrufs zum Mord an einem Gegenkalifen. Gegen den untergetauchten Mitangeklagten, den Theologen Basri G., wurde in Abwesenheit eine dreijährige Haftstrafe verhängt. Einen 28-Jährigen mitangeklagten Studenten sprach das Gericht frei.
Die Richter sahen es als erwiesen an, dass Kaplan und Basri G. „unmissverständlich“ zur Tötung von Halil Ibrahim Sofu aufgerufen hatten. Sofu, der sich in Berlin zum „Gegenkalifen“ des „Kalifen“ Kaplan ernannt hatte, wurde im Mai 1997 von Unbekannten ermordet.
Sofu und Metin Kaplan hatten zuvor jahrelang um die Vormacht in der autoritär geführten islamistischen Gruppierung gestritten. Der „Kalifatsstaat“ war 1984 von Cemaleddin Kaplan, dem Vater des gestern Verurteilten, gegründet worden. Die radikalislamische Gruppe erhebt den Alleinvertretungsanspruch für alle Muslime und will in der Türkei wieder einen Kalifatstaat errichten, der dort 1924 abgeschafft wurde.
Nach Ansicht des Verfassungsschutzes hat die antisemitische und gewaltbereite Gruppierung in Deutschland nur 1.300 Mitglieder. Allerdings konnte sie am 4. November mehr als 4.000 Anhänger zu einer Pro-Kaplan-Demonstration mobilisieren.
1995, nach Cemaleddin Kaplans Tod, galt Sofu vielen Kalifatstaatsanhängern gegenüber Metin Kaplan als der würdigere Nachfolger. Glaubensfragen spielten in dem Konflikt eine untergeordnete Rolle. Es ging dabei schlicht um Macht und Geld. Metin Kaplan fürchtete vor allem um die „Steuer“-Einnahmen seines Kalifatstaates.
Vor rund 200 Anhängern hatten Kaplan und Basri G. am 3. September 1996 auf einer Hochzeitsfeier in der Berliner Humboldt-Universität Brandreden gehalten. „Dieser Kalif ist unbedingt des Todes“, hatte Kaplan über seinen Konkurrenten Sofu gesagt und den Anhängern zugerufen: „Ihr seid die wahren Soldaten des Kalifatstaates. Schluss mit dem falschen Kalifen.“
Die beiden Reden wurden auf Videobänder festgehalten – ein „folgenschwerer Fehler“, wie der Vorsitzende Richter Ottmar Breidling gestern betonte. Denn die Aufnahmen wurden 1998 bei einer Hausdurchsuchung in Kaplans Wohnzimmer beschlagnahmt und dienten dem Gericht nun als Hauptbeweismittel.
In seiner Berliner Ansprache erneuerte und radikalisierte Kaplan eine Todes-Fatwa, die er bereits zuvor in seiner Verbandszeitung Ümmet-i Muhammed ausgesprochen hatte. Die Kaplan-Getreuen sollten die Sache „in die eigene Hand nehmen und Sofu beseitigen“, sagte Breidling.
In der Urteilsbegründung räumte der Vorsitzende Richter zwar ein, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Mord an Sofu und Kaplans Aufrufen während des Prozesses nicht nachgewiesen werden konnte. Keinen Glauben schenkte der Staatsschutzsenat allerdings den Beteuerungen von Metin Kaplan, die im Islam als „Todes-Fatwa“ bezeichneten Mordaufrufe seien für seine Anhänger nicht verbindlich gewesen, da sie nicht auf dem Boden eines islamischen Staates ausgesprochen worden seien. Richter Breidling nannte solche Einwände „überaus durchsichtige und gebetsmühlenhafte Leerfloskeln“.
Der Düsseldorfer Prozess hatte am 8. Februar 2000 begonnen. An 56 Verhandlungstagen hatten etwa 50 Zeugen und drei Sachverständige ausgesagt. Den gegen Kaplan und Basri G. zunächst erhobenen Vorwurf der Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung mussten die Generalbundesanwälte während des Prozesses fallen lassen. Allerdings meinte Breidling gestern, es gebe dennoch eine ganze Reihe von Hinweisen dafür.
Während des Prozesses erfuhren die Kalifen-Anhänger einige pikante Details aus dem Leben ihres Anführers. Vermutlich ist Metin Kaplan gar nicht der leibliche Sohn des Kalifat-Gründers Cemaleddin Kaplan. Dieser soll zeugungsunfähig gewesen sein. Auch habe der 48-Jährige einen Hirnschaden und daher eine ungewöhnlich kleine Hirnmasse, was allerdings nichts an seiner Schuldfähigkeit ändere.
Die Kaplan-Jünger werden die deutschen Behörden auch in Zukunft noch beschäftigen. Drei weitere Morde in Kaplans Umfeld warten noch auf Aufklärung. So war die Ehefrau des Mitangeklagten Basri G. mit einem Genickschuss getötet worden. Sie hatte sich vor ihrem Mann in ein Frauenhaus geflüchtet und soll gedroht haben, Interna der Organisation zu verraten. Möglicherweise werden die Mörder des Gegenkalifen doch noch gefunden. Derzeit sollen die Ermittler neue Spuren in Usbekistan verfolgen.
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