: Wenn Barbie zur Einstiegsdroge wird
■ Was schenkt man Kindern, die schon alles haben? Tipps aus der Suchtprävention
Der kleine Tommy hat eine Play-Mobil-Ritterburg. Sein Onkel Daniel hat auch eine, die ist noch viel schrecklicher, mit Falltüren und Streckbank im Keller. Tommys größter Wunsch ist, der Onkel möge vorbeikommen mit seiner Burg, dann könnten die Ritter kämpfen von Fort zu Fort. Kein Problem, sagt der Verwandte und bringt das graue Plastikding vorbei. Und fährt gleich wieder weg. Nun stauben zwei Burgen im Zimmer des Fünfjährigen vor sich hin.
Was kann man Kindern schenken, die schon alles haben? „Zeit und gemeinsame Aktivitäten“, sagt Irene Ehmke vom Hamburger Büro für Suchtprävention. Nicht nur Verwandte, auch die Eltern selbst würden heutzutage viel zu wenig mit Kindern spielen und unternehmen und dies mit Geschenken kompensieren. Würden Kinder aber mit Spielzeug überschüttet, so warnt die Diplompädagogin, könne daraus im späteren Leben eine Suchtgefährdung entstehen. Barbie als Einstiegsdroge? „Das ist kein Automatismus“, so Ehmke, „es hängt auch davon ab, wie das Verhältnis des Kindes zu Freunden und Eltern ist.“ Auch sei wichtig, dass ein Kind die Möglichkeit hat, seine Fähigkeiten zu entwickeln, nicht nur konsumiert, sondern aktiv sein kann.
Ehmke, die im Auftrag der Suchtprävention auch Konzepte für „spielzeugfreie Projektwochen“ in Hamburger Kindergärten betreut, rät, den Heranwachsenden vor allem „kreative Materialen“ anzubieten. Egal ob Holz, Sand, Wasser, Erde – Kinder brauchen Gelegenheit, um zu experimentieren oder einfach vor sich hinzuwurschteln. Und noch ein Hinweis: „Je weniger vorgefertigt und zielgerichtet ein Spielzeug ist, desto mehr Freiheit hat das Kind damit umzugehen.“ Allerdings gebe es auch Kinder, die gerne die Wirklichkeit simulieren und vorgefertigtes Spielzeug schön finden.
Die These von Suchtgefährdung durch maßlosen Konsum ist schon ein paar Jahre alt. Für den Erfolgsautor Jan-Uwe Rogge (“Kinder brauchen Grenzen“) ist es gar eine Mode-These, die immer vor Weihnachten durch die Medien geistert. Der bei Hamburg lebende Familienberater sieht darin eine Gefahr und warnt vor einer „verkopften Erziehung“, die maßlosen Konsum durch maßlose Askese ersetzt. Rogge: „Auch über Konsum werden Bedürfnisse befriedigt.“
Zwar müsse einem Kind nicht jeder Wunsch erfüllt werden, denn im materiellen Bereich frustriert zu werden, mache Kinder „lebenstüchtig“. Gleichwohl sei die schlichte Forderung, Zeit zu schenken „zu abstrakt“ und rein quantitativ: viel Zeit statt vieler Geschenke. Und, so Rogge: „Nicht jedes Kind kann eine pädagogisch wohlmeinde Mutter zwei Stunden lang ertragen.“ Ein gutes Gespräch vorm zu Bett gehen, das fünf Minuten dauert, könne für ein Kind viel wertvoller sein, als eine Mutter, die zwei Stunden lang auf dem Teppich liegt und Legos hin und her schiebt, obwohl sie dazu keine Lust hat. Emotionale Zuwendung müsse aus innerer Überzeugung kommen und dürfe nicht vom schlechten oder pädagogischen Gewissen getragen sein. Kaija Kutter
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