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Statik vor

Next exit democracy: DaimlerChrysler stellt im Haus Huth „Gib Gas – Die Neuerwerbungen der 90er Jahre“ aus

Eine Kamera ist auf mich gerich tet. Gerade, als ich in der illusionären, weil gemalten Menschenmenge zu verschwinden glaube, entdecke ich in ihrer Mitte den hinter seinem schussbereiten Apparat nur teilweise erkennbaren Fotografen. Gleichsam kognitiv belichtet und separiert, passiere ich den Bildraum des großen Gemäldes.

Die Künstlerin Tamara K. E. fokussiert mit der dreiteiligen Wandbild-Installation „next comes democracy“ in einem unerwarteten Moment auf die stetig sich verkehrende Beziehung von Individuum und Masse. Der Betrachter hat sich soeben aus dem realen Personenstrom auf der Alten Potsdamer Straße gelöst und den Treppenraum des Hauses Huth betreten, um in die Berliner Tagungsräume von DaimlerChrysler im 1. Obergeschoss zu gelangen. Mit dem Gemälde der anonymen Menschen, das konkav gerundet über der gesamten Breite des Treppenabsatzes vom Fußboden bis zur Decke reicht, zeigt Tamara K. E. einen Augenblick lang die existentiellen Pole: einer unter Unzähligen und gleichzeitig fixiert zu sein.

Dabei gab es vorher bereits eine klare Botschaft: „Next comes democracy. That is our method.“ Dieser einprägsame Satz steht unvermittelt auf dem ersten Gemälde der Installation, das eine domestizierte Palme neben einem zerknautschtem, nur angeschnitten sichtbaren Sofa zeigt. Es hängt im Erdgeschoss gegenüber der Eingangstür und empfängt frontal den Eintretenden in scheinbar heimeliger Atmosphäre. Ein humorvolles und beziehungsreiches, jedoch vollkommen unironisches Augenzwinkern im Vorraum des größten deutschen Konzerns.

Das Auftragswerk der 1970 im georgischen Tiflis geborenen, nun in Düsseldorf lebenden Tamara K. E. entstand im Rahmen des DaimlerChrysler Kunstkonzepts für das Bauprojekt Potsdamer Platz. Es ist überzeugender Bestandteil der Architektur im Sinne von Kunst am Bau und wird anlässlich der Ausstellung „Gib Gas – Die Neuerwerbungen der 90er Jahre“ erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.

Tamara K. E. verwendet Fotografien mit banalen Motiven, die sie aus der unaufhörlichen visuellen Flut wie Fundstücke konserviert – teilweise in selbst abgelichteten Bildern, teilweise von anderen Medienträgern. Aus diesem Fundus an Bildvorlagen werden lediglich Ausschnitte gemalt. Damit löst sie ihr Gemälde aus dem originalen Kontext und gibt ihm eine neue Bedeutung, die durch Sätze auf den Bildern erlebbar, jedoch nicht ideologisch erklärt werden.

Ihr in der Sammlung DaimlerChrysler gezeigtes Gemälde „Everything is All Right“ ist an der Grenze zum unbestimmten Klischee: Der Satz „I'd fall asleep and dream everything is all right“ über dem Bild eines Mannes, der vermutlich eine Frau auf seinen Schultern – ihr Körper und sein Kopf befinden sich außerhalb des Bildausschnitts – und in seinen Händen zwei Reisetaschen trägt, klingt zwar inhaltsschwanger, hat aber nicht die Treffsicherheit der Installation im Treppenraum.

Bei einem Konzern, der vor allem für Automobile steht, mag der Ausstellungstitel „Gib Gas“ nahe liegend sein, hier ist er freilich vollkommen irreführend. Die meisten Künstler der Ausstellung spiegelten den Sammlungsschwerpunkt „Postkonstruktivismus“ wieder, erläuterte Hans J. Baumgardt, der Leiter des Kunstbesitz DaimlerChrysler. Diese Richtung hat jedoch eher mit Statik als mit Bewegung zu tun, was die präsentierte Kunst belegt: Abgesehen von einer Arbeit Nam June Paiks sind zweidimensionale Werke ausgestellt, von bekannten Künstlern wie Imi Knoebel, Michael Heizer, Ruprecht Geiger oder Daniel Buren, dazu kommen aus der jüngeren Generation Simone Westerwinter, Beate Terfloth und Peter Holl. Ein separater Galerieraum ist den Gemälden des georgischen Künstlers Gia Edzgveradze gewidmet. Und dann gibt es noch eine weitere Arbeit von Tamara K. E. Das dritte Tafelbild von „next comes democracy“ wird erst beim Hinuntergehen auf der Treppe sichtbar, da es sich hinter der Eingangstür befindet: Ein leerer Treppenabsatz, ähnlich einem Spiegelbild, nur ohne Betrachter und ohne Installation. Alles scheint gesagt zu sein, der Straßenalltag hat uns wieder. MICHAEL KASISKE

Bis 3. 2. 2001, Di – Fr 11 – 18, Sa 10 – 14 Uhr, Sammlung DaimlerChrysler, Haus Huth, Alte Potsdamer Straße 5

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