Aktiv oder aktivierend?

■ Interview mit Sozialsenatorin Hilde Adolf (SPD) über den Sinn des Sozialstaates und unsinnige Gutachten

„Der aktivierende Staat verschiebt die Verantwortung allein auf die Hilfesuchenden und gibt den Anspruch, gesellschaftliche Verhältnisse zu verändern und Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, auf.“ So heißt es im am Samstag beschlossenen Leitantrag des SPD-Landesparteitag.

Die Formulierungen „Fördern statt Fordern“ und „gewährleis-tender und aktivierender Staat“, die Sozial- und Arbeitssenatorin Hilde Adolf (SPD) der Umstrukturierung ihres Ressorts zugrunde legt, wurden damit gekippt. Die taz sprach mit ihr über die Reform, den Parteitag und den Überschuss von 55 Millionen Mark an Sozialhilfe für dieses und das kommende Jahr.

taz: Was bedeutet der Beschluss des SPD-Landesparteitags, die Worte „aktivierender Staat“ und „Fördern statt fordern“ zu kippen für Ihre Arbeit?

Hilde Adolf: Unmittelbar nichts. Ich glaube, dass bei Sozialdemokraten Angst besteht, dass beim aktivierenden Staat das Fordern überdimensioniert wird und in den Hintergrund tritt, dass der Staat natürlich auch eine gewährleistende Aufgabe hat. In der Sache bin ich mit den Genossinnen und Genossen überhaupt nicht uneins. Es geht darum, wie man das beschreibt. Ich stehe mit meiner Person dafür ein, dass diese Begrifflichkeiten wie ich sie benutze – fördern und fordern - keinen Leistungs-abbau für Bedürftige bedeuten. Aber den Menschen, bei denen Selbsthilfepotenziale noch vorhanden sind, wollen wir klar machen, dass sie auch eine eigene Verantwortung haben.

Unterm Strich ändert sich also nichts?

Ich werde meiner Linie treu bleiben.

Was ist davon zu halten, wenn Jobst Fiedler von der Beraterfirma Roland Berger und Partner von der Idee eines Wettbewerbs unter den einzelnen Mitarbeitern spricht – nach dem Motto: Wer bringt seine Schützlinge am schnellsten in Lohn und Brot?

Als Wettbewerb würde ich das nicht bezeichnen. Derzeit ist es so, dass jeder Mitarbeiter eine bestimmte Zahl an Fällen – etwa 140 pro Monat – betreut. Hat er einen davon abschließend bearbeitet, kommt sofort der nächste nach. Aber es muss sich auch lohnen, Leistung zu bringen. Es geht nicht darum, dass der Sachbearbeiter ein Sternchen kriegt. Sondern es geht darum, den Betroffenen zu helfen und um eine andere Form von Arbeit: mit mehr Verantwortung.

Grundlage für Ihre Reformvorhaben ist ja unter anderem das Gutachten der Beratungsfirma Mummert und Partner, das beim Vergleich der Sozialhilfedichte einzelner Städte massive Fehler aufweist.

Es ist richtig, dass da einige Zahlen falsch sind. Meine Fachleute sagen mir überzeugend, dass – auf das Ergebnis bezogen – diese falschen Zahlen keine Auswirkungen haben. Dass also die aufgezeigten Wege die richtigen sind. Die falschen Zahlen resultieren zu großen Teilen daraus, dass in den befragten Städten einfach das Grundlagenmaterial nicht miteinander vergleichbar ist. Das hätte man sicherlich benennen müssen. Wir überlegen auch, inwieweit das Auswirkungen auf die Zahlung letzter Raten haben muss.

Wie viel steht denn noch aus von den Gesamtkosten von 195.000 Mark für das Gutachten?

20 oder 25 Prozent.

Der Sozialwissenschaftler Volker Busch-Gertseema hat den Verdacht geäußert, dass das Zahlenwerk nur Makulatur ist, Pseudo-Rechtfertigung für eine Reihe von Maßnahmen, die im Moment ohnehin populär sind.

Die Beauftragung von Mummert und Partner für das Gutachten liegt ja nun schon länger zurück. Heute ist man in der sozialpolitischen Debatte viel weiter. Damals machte das Gutachten Sinn. Ob man es heute nochmal bestellen würde, weiß ich nicht. Es gibt inzwischen Maßnahmen, deren Wirkung auch aus anderen Städten bekannt ist.

Das Mummert-Gutachten prognostiziert für das Jahr 2005 Ein-sparungsmöglichkeiten in Höhe von 130 bis 140 Millionen Mark bei der Sozialhilfe. Wenn die dieser Prognose zugrunde liegenden Zahlen aber falsch sind, was bedeutet das für Ihre eigenen Berechnungen?

Wir haben für dieses und das nächste Jahr voraussichtlich Einsparungen von 55 Millionen Mark. Ich würde mich jetzt nicht auf eine Zahl, die 2005 gelten soll, festlegen wollen. Da gehören so viele Faktoren dazu, die wir heute noch gar nicht übersehen können.

Gibt es ein zu erreichendes Einspar-Minimum?

Ich habe da keine Vorgaben.

Was wird aus den 55 Millionen, die nun übrig sind?

Wir haben Ideen: für den Aufbau der Sozialzentren und die notwendige Fortbildung der dortigen MitarbeiterInnen. Oder die Arbeitsförderung. Aber wir haben noch nicht für alles Zusagen des Senats.

Sind denn da – wie oft gefordert – auch mehr Mittel für die Kinder- und Jugendförderung drin, so dass die Kürzungen in diesem Bereich vielleicht ausgesetzt werden können?

Es würde in der Jugendförderung das Problem gar nicht lösen, wenn ich die Kürzungen nicht vornähme. Denn am Ende steht immer das Jahr 2005 mit einer festen Finanzvorgabe. Der derzeit geplante Prozess sieht die Kürzung in einzelnen, langsamen Schritten vor. Setze ich die Kürzungen jetzt aus, kämen sie in zwei oder drei Jahren um so härter.

Wenn der jugendpolitische Sprecher der SPD, Frank Pietrzok, fordert, die Kürzungen auszusetzen, blendet er dann aus, dass sie später um so härter kommen?

Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass er unter dem Eindruck der Stadtteildiskussionen zu der Erkenntnis gekommen ist, dass die inhaltliche Neuausrichtung verbunden mit Umverteilungs- und Sparvorgaben, einfach zu viel auf einmal ist. Es ist ja auch viel. Aber ich glaube, dass es nur fair ist, jetzt nicht mitten im Prozess für einige Entwarnung zu geben. Ich habe den Auftrag des Jugendhilfeausschusses, Härten zu vermeiden. Den nehme ich sehr ernst. Wenn wir bewertet haben, was die Quotierung in den einzelnen Stadtteilen bewegt, werden wir das berücksichtigen. Aber ich sage jetzt nicht, dass nichts passieren wird. Das kann ich nicht. Die 55 Millionen hätte ich gerne sofort für meinen Bereich, aber sie gehen haushaltsrechtlich zurück in den Allgemeinhaushalt. Deswegen muss ich gute Argumente haben, wenn ich dafür antrete, bestimmte Teile dieser Minderausgaben für unseren Bereich weiterzuverwenden.

Und ob Sie diese Argumente für die Jugendförderung haben werden, wird die Bewertung der Stadtteile ergeben?

Ja.

Fragen: Susanne Gieffers