Bildung im Rekordtempo

Die CDU wollte bei ihrem Bildungsparteitag von der kleinsten Schule lernen. Daraus wurde nichts

aus Stuttgart CHRISTIAN FÜLLER

I. Renate und Benno Kroschel kommen nicht zu Wort. Die CDU hat sie eingeladen, damit sie bei ihrem Bildungsparteitag über die kleinste Schule Deutschlands berichten. Aber jetzt steht das Lehrerehepaar ratlos auf dem Podium der CDU, die hier einen – so das Motto – „Bildungsvorsprung“ rausholen will.

Die Kroschels folgen dem Frage-und-Antwort-Ping-Pong wie dem Ball beim Tischtennis. Es muss schnell gehen. Die CDU lässt ihr Podiumsgespräch live von einem Lokalsender übertragen. Der Moderator zieht sieben Podiumsteilnehmer in 25 Minuten durch. Bei den Journalisten und den Mitarbeitern ihrer Parteizentrale ist die CDU schon im Rückstand. Hinten werden erste Biere geschlürft: „Über was reden die da vorne eigentlich?“

II. Renate und Benno Kroschel haben eine wunderbare Schule. In 1.000 Meter Höhe auf dem Schauinsland über Freiburg unterrichten sie 16 Schüler. Alle Kinder lernen zur selben Zeit in demselben Raum der Berghütte. An einem Sechsertisch die Erst-und Zweitklässler, an einem anderen die dritte und vierte, an einem Viertertisch die fünfte, achte und neunte Jahrgangsstufe. „Die Älteren ziehen die Jüngeren mit“, nennt Renate Kroschel das Grundprinzip ihrer Schule.

Aber leidet in einer Einzimmerschule nicht die Aufmerksamkeit? „Ja“, sagt Schulleiter Benno Kroschel, „alle müssen sich sehr auf ihre Arbeit konzentrieren. Und das ist ein Vorteil!“ Die Schützlinge der Kroschels gehen dafür oft auf Exkursion. Gerade waren die Kids im Zoologischen Institut in Freiburg. „Der Leiter des Instituts hat den Schülern mit so viel Liebe und Sorgfalt die 1.000 präparierten Tiere erklärt“, berichtet die Frau, „hinterher wollten alle Bio machen.“

Wie können die Kroschels in dem einen Zimmer nach Leistung differenzieren? (Immerhin ist das, trotz eines Kulturkampfs in den 70ern, die ungelöste Kernfrage des dreigliedrigen Schulwesens). „Es gibt zwei Grundschüler, die sehr ungeduldig sind“, erzählt Benno Kroschel, „die können dann mit an den Tisch der Dritten.“ Oder einer der Älteren wird selbst Lehrer: Der Neuntklässler gibt dann Englisch für seine Mitschülerin aus der Fünften.

Die Stohrenschule ist keine pittoreske Minischule, sie enthält die wichtigsten Reformelemente für Deutschlands Schulen. Sie ist eine Gesamtschule mit jahrgangsübergreifendem Prinzip. Die Kroschels öffnen ihre Schule, sie praktizieren Projektunterricht, aber „nie frontales Belehren“ (Renate Kroschel). Und der Clou: Die Stohrenschule in Münstertal ist sogar am Netz. Drei Computer – das heißt, 15 Prozent der Bergschüler sind online. Nicht mal High-Tech-Schulen kommen auf diese Quote.

Annette Schavan, Kultusministerin Baden-Württembergs, ist fasziniert von der Schule. Deswegen hat die wichtigste Frau des Parteitags – sie hat den Leitantrag Bildung verfasst – die Kroschels nach Stuttgart eingeladen. Aber die Kultusministerin hat ein schlechtes Gewissen, weil ihre Gäste nicht zu Wort kamen. Sie stellt ihren Dienstwagen bereit, damit das Lehrerehepaar tags darauf wenigstens umstandslos zum Parteitag kommt.

III. Renate und Benno Kroschel hören am Vormittag des Konvents praktisch kein Wort über Bildung. Angela Merkel und Friedrich Merz müssen den Kanzler angreifen. Endlich. „Öde, öder, Schröder“, kalauert Merkel. Dann muss Laurenz Meyer gewählt werden. Und dann geht es ganz ganz schnell.

Zu schnell für die Kroschels. Renate Kroschel studiert noch versunken ihre roten Umrandungen „guter Stellen des Leitantrags“. Sie will der Debatte folgen. Aber es gibt keine Debatte. Zwei Dutzend Reden, aber keine Debatte. Die CDU jagt in Rekordzeit durch das Thema Bildung. Die Partei nimmt den „Vorsprung“ wörtlich. 32 Seiten Leitsätze und 1.159 Änderungsanträge werden in zwei Stunden absolviert. Über die Stohrenschule, über ihre Reformelemente – kein Wort.

IV. Im Pressezentrum fragt ein Journalist, der gerade seine CDU-Texte zu Tagebuch, Asyl/Leitkultur, Generalsekretär beendet hat: „Was haben die jetzt eigentlich zu Studiengebühren beschlossen?“ Niemand weiß es. Prüfauftrag, raunt einer. „Macht eh nichts, Bildung interessiert eh keine Sau“, kichert ein anderer.

Renate und Benno Kroschel sind weg. Frau Schavan will ihre Schule besuchen. Im Januar.