urteil in florida
: Auf in die letzte Juristenschlacht

Natürlich ist der Wählerwille wichtiger als Termine. Insofern haben die obersten Richter Floridas richtig entschieden, als sie die manuellen Stimmenzählungen in einigen Wahlbezirken zuließen. Dies ist ein Sieg der Demokratie, wie Vizepräsident Al Gore zu Recht gesagt hat. Nur: Gore findet das Urteil freilich auch aus dem Grunde glorreich, aus dem es die Bush-Kampagne als unfair und schändlich verdammt: Gore könnte dank der neuerlichen Nachzählung doch noch die US-Präsidentschaftswahlen gewinnen.

Kommentar von BERND PICKERT

Es ist wohl bloßer Zufall, dass Gore die besseren Argumente hat: Letztlich geht es beiden Kandidaten ums Gewinnen und um sonst nichts. Und genau deswegen kann sich das Urteil von Tallahassee in sein Gegenteil verkehren: Hier hat ein von Vertretern der Demokraten dominierter Gerichtshof im Sinne „ihres“ Kandidaten entschieden, um ihm zum Wahlsieg zu verhelfen. Das ist die Botschaft, die die Republikaner mit Erfolg unter ihr Wahlvolk bringen, und damit begründen sie auch, warum sie jedes rechtliche Mittel ausschöpfen werden. Die Auseinandersetzungen werden hässlicher, die Vorwürfe härter, die Stimmung wird unversöhnlicher – zumal das Urteil in Florida die Streitfrage offen lässt, wie die strittigen Stimmzettel zu bewerten sind. Die Republikaner werden also erneut die Gerichte beschäftigen. Vom Bezirksgericht in Miami bis zum US Supreme Court in Washington wird über herausfallende, verbeulte und festhängende Schnipsel verhandelt werden – eine fatale Endlosschleife.

Waren die US-Wähler anfangs noch im Sinne einer demokratischen Verfahrensweise außergewöhnlich geduldig, so haben sie jetzt die Nase voll. Floridas oberste Richter hatten die vermutlich letzte Chance, wenigstens Gore einen würdigen Abgang zu verschaffen: Hätte gerade dieses Gericht gegen ihn entschieden, hätte er zwar verloren, sich jedoch als staatsmännischer Irgendwie-eigentlich-Gewinner zurückziehen können.

Aus, vorbei, jetzt gibt es nur noch die bedingungslose Juristenschlacht. Nach diesem Urteil kann keiner mehr zurück. Die von immer mehr Anwälten immer wütender ausgetragenen Kämpfe um immer kleinere Details werden das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Institutionen und den Verstand der Funktionäre zunehmend erschüttern. Wer immer am Schluss ins Weiße Haus einzieht, nimmt aus diesen Wochen eine Hypothek mit, die nur sehr schwer abzutragen ist.

ausland SEITE 10