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Tränenreiche Abrechnung

Der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit weint. Er sagt im Opec-Prozess aus. Seine Zeugenaussage gerät zur unnachgiebigen Auseinandersetzung mit dem bewaffneten Kampf

von HEIDE PLATEN

So viele Tote und ein zerbrochenes Leben. Und dann 1998, dieser eine Sommer in Freiheit mit den beiden Kindern, um den der Exterrorist Hans-Joachim Klein ihn gebeten hatte, ehe er sich der Polizei nach 25 Jahren Untergrund stellen wollte: Der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit weint.

Der Vorsitzende Richter im Frankfurter Landgericht im Prozess gegen Klein ordnete gestern Vormittag eine Pause an. Der Zeuge Daniel Cohn-Bendit fasst sich und setzt seine schonungslose Abrechnung mit dem bewaffneten Kampf der Linken in den 70ern und 80ern fort. Cohn-Bendit kannte den wegen dreifachen Mordes angeklagten Klein schon vor dessen Beteiligung am Attentat gegen die Ministerkonferenz Erdöl exportierender Länder (Opec) 1975 in Wien.

Damals waren von einem palästinensisch-deutschen Terrorkommando drei Menschen erschossen, drei schwer verletzt und unter Leitung des Top-Terroristen Illich Ramirez Sanchez 70 Geiseln nach Algier entführt worden. Klein sagte sich 1977 vom Terrorismus los und tauchte unter. 1999 wurde er, inzwischen verheiratet und Vater von zwei Kindern, in Frankreich verhaftet.

Cohn-Bendit wurde gestern zu Kleins Leben vor dem Attentat und zu der Tatsache gehört, dass er und andere Intellektuelle ihn nach 1977 versteckten und unterstützten. Der Zeuge, gegen den deshalb ein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, sagte umfassend über Kleins Weg in den Terrorismus aus. Er habe ihn nach 1968 bei Demonstrationen als „unheimlich hilfsbereiten“ Menschen kennen gelernt. Er sei mitfühlend gewesen, habe sich aber mit „Ungerechtigkeiten dieser Welt überidentifiziert“.

Der Vietnamkrieg, die Verfolgung der Black Panthers in den USA, die Behandlung der politischen Gefangenen in der Bundesrepublik seien ihm sehr nahe gegangen: „Klein war einer, der immer zeigen wollte, wie berührt er von den Ereignissen war, die damals stattfanden.“ Klein habe sich radikalisiert und sei so empfänglich für die Anwerbung durch die „Revolutionären Zellen“ (RZ) geworden: „Die haben ihn rübergezogen.“

Vom Opec-Attentat habe er erst aus der Zeitung erfahren und sei entsetzt gewesen. Dass er und die damalige Sponti-Szene das nicht hätten verhindern können, sei für ihn noch heute „eine persönliche Niederlage“.

Er selbst habe den bewaffneten Kampf schon früh kritisiert und sei dafür, auch von Klein, damals als das „übelste Schwein auf Gottes Erden, der größte Renegat“ beschimpft worden. Klein habe bei seiner Flucht aus dem Terrorismus Hilfe bei seiner alten Szene gesucht und bekommen. Er habe sich dann, so Cohn-Bendit, zu Recht bedroht gefühlt. Einerseits habe er ohnehin als Verräter gegolten, andererseits auch Namen gewusst, vor allem den der ebenfalls am Opec-Attentat beteiligten, 1995 gestorbenen Deutschen Gabriele Kröcher-Tiedemann, Deckname „Nada“. Er selbst sei deshalb als Fluchthelfer von Klein bedroht worden, ein Molotowcocktail habe die Redaktion der Sponti-Zeitung Pflasterstrand verwüstet. Er habe mehrfach Besuch von Emissären der RZ bekommen, die ihn „ganz freundlich“ gebeten hätten, Klein zum Schweigen aufzufordern. Unter ihnen sei auch der Hauptentlastungszeuge Gerd-Hinrich Schnepel gewesen, der während der letzten Verhandlungstage Kleins Mitangeklagten Rudolf Schindler entlastet hatte. Klein habe sich für seine Tat „unendlich geschämt“ und sich freiwillig stellen wollen. Er habe nur noch um diesen einen Sommer gebeten: „Wie soll ich erklären, wie schwer das ist, die Verantwortung dafür, jemanden dazu zu bringen, ins Gefängnis zu gehen?“ Tränen seien da „gar nichts Ehrenrühriges“, so Cohn-Bendit.

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