: Böse Blicke bei Gebäck und Tee
Wenn sich im 19. Jahrhundert die Nacht über Berlin senkte, hob in auserwählten Kreisen die gepflegte Konversation an. In den so genannten Salons, von denen zwischen 1780 und 1914 über neunzig in der Stadt existierten, trafen sich auf private Einladung Dichter und Philosophen, Theologen und Naturwissenschaftler, Maler, Musiker und andere mehr. Die Historikerin Petra Wilhelmy-Dollinger hat die Geschichte dieser Treffen untersucht und gibt in ihrem Buch „Die Berliner Salons“ (Berlin 2000, de Gruyter, 448 Seiten, 68 Mark) eine fundierte Einführung in ein seltsam entfernt erscheinendes Kapitel deutscher und Berliner Geschichte.
Die Salons waren eine Erfindung von Frauen und dienten – auf verschiedene Weise und in unterschiedlicher Intensität – ihrer Befreiung und Selbstverwirklichung. So bilden den Mittelpunkt dieser Salongeschichte die Frauen, „ihre Emanzipation, ihr Weg zur höheren Bildung und das heißt zugleich der menschlichen Freiheit, ihr Weg in die Öffentlichkeit, die damals noch dominant männliche Öffentlichkeit“. Dabei könne die Rolle der Salonnière, der Gastgeberin, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wenn etwa der literarische Salon in gewisser Weise als ästhetischer Religionsersatz verstanden wird, so die Autorin, so war die Salonnière gleichsam die Priesterin dieses neuen Kults.
Den Auftakt dieser Geschichte bildete der 1780 gegründete Salon von Henriette Herz. Das Sprichwort „Wer den Gendarmenmarkt und Madame Herz nicht gesehen, hat Berlin nicht gesehen“ illustriert – wenngleich er liebevoll überzogen war – die Bedeutung solcher Treffen im Allgemeinen sowie jener im Hause Herz im Besonderen.
Bei diesen Zusammenkünften gab es in der Regel keine feste Sitz- oder Tischordnung, und auch Pünktlichkeit galt keineswegs als unverzichtbare Tugend. Damit, so die Autorin, seien „manche Elemente der heutigen Partys vorweggenommen“ worden. Wenn man einmal von der Verpflegung absieht: Bei der vornehmen alten Fürstin Marie Radziwill, die jeden Abend ab neun Uhr empfing, gab es nur Tee, Limonade und Gebäck.
Gehaltvoller waren da schon die Gespräche, die um kulturelle Themen kreisten. Und wenngleich es in Berlin kaum politische Salons gab, so prägten doch zuweilen politische Ereignisse die Zusammenkünfte. So drohten beispielsweise die Spannungen des Revolutionsjahres 1848 mit ihren politischen „Meinungsverschiedenheiten“ die geselligen Kreise aufzulösen. Es war nicht jedermanns Sache, wenn sich preußische Prinzen und Revolutionäre beim Tässchen Tee böse Blicke zuwarfen. Bettine von Arnim löste das Problem galant durch Teilung: Alsbald gab es in ihrem Hause zwei Salons: einen demokratischen und einen aristokratischen.
Mit sympathetischem Blick schildert Petra Wilhelmy-Dollinger die Damen und ihre Salons. „Wer die Berliner Salons kennt“, so die Historikerin, „wird das 19. Jahrhundert und Berlin besser verstehen.“ Bei wem diese unaufgeregte und dadurch angenehm klar erzählte Darstellung das Interesse angeregt hat, mag sich an die topografischen Hinweise im Anhang des Buchses halten. Sie geben Tipps für Spaziergänge auf den Spuren der Berliner Salons und zu den letzten Ruhestätten von Salonnièren und wichtigen Salongästen.
TILLMANN BENDIKOWSKI
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