Trennung per Diamantsäge

■ Krach und Lärm, manchmal nur Geräusche von nebenan, treiben viele Menschen in die Verzweiflung / Was bleibt: Umziehen oder Ohropax

Da. Da ist es doch wieder. Schscht! Hörst du das nicht? Den Krach von nebenan? Unverschämtheit. Die sind doch voll laut da drüben. Szenen einer Mietwohnung.

Wann sind Geräusche von nebenan zu laut, wann glaubt man nur, sie seien es? Was tun, wenn das nachbarliche Niesen jenseits der Wand diesseits Heulkrämpfe verursacht? Styropor an die Wand nageln? „Auf keinen Fall“, sagt Stefan L. Nave, einer von drei Bremer Fachleuten, die sich mit solchen und anderen Fragen von Lärm beschäftigen. Stefan L. Nave ist Sachverständiger für Schall- und Schwingungstechnik, misst – ausgerüstet mit speziellen Messgeräten, Lautsprechern und viel akkustischem Zubehör – den Krach, dem Menschen an Autobahnen, neben Gewerbebetrieben, aber auch nahe notorisch Feiernden ausgesetzt sind. „Es gibt kein Grundrecht auf Feiern“, sagt er, „nur Silvester ist laute Musik wirklich erlaubt.“ Ansonsten sei Abstimmung mit der Nachbarschaft und gegenseitige Toleranz nötig. Und Styropor, erklärt er, sei ein prima Wärmeisolator, aber könne Geräusche von nebenan noch verstärken.

Was für den Wärmeschutz gut ist, muss auch für den Schallschutz gut sein – das scheint einleuchtend, ist tatsächlich aber ein weit verbreiteter Irrtum. Denn es verhält sich genau umgekehrt. Leichte, poröse Steine wie Gasbetonsteine wirken wärmeisolierend. Aber Schallschutz funktioniert nach dem Prinzip: soviel Masse wie möglich auf so wenig Platz wie möglich. Das heißt, schalldämpfende Steine müssen dick, schwer, kompakt sein. Ein Widerspruch.

„Der Architekt muss einen Kompromiss zwischen gutem Wärme- und gutem Lärmschutz finden“, erklärt Nave, aber das funktioniere nicht immer: „Dafür ist gutes Fachwissen nötig.“ Und im Zweifel, weiß Nave, geht der Wärmeschutz immer vor.

Wirklich fies sind ja die „Schallbrücken“. So nennt der Fachmann eine Verbindung zweier Hauswände oder gar nur einzelner Steine, beispielsweise durch Mörtel. Diese „Brücken“ nämlich leiten den Schall von einem Haus ins andere. „Eigentlich“, sagt Stefan Nave, „eigentlich müssen zwischen den Wänden zweier Häusern mindestens drei, besser vier Zentimeter Abstand herrschen.“ Dazwischen kommt eine schallisolierende Mineralfaserplatte, und keiner meckert mehr über die laute Glotze um Mitternacht. Zumindest kein Nachbar. Aber das wird nicht immer eingehalten, bei alten Häusern gleich gar nicht. „Damals war Schallschutz nicht so wichtig“, erklärt Nave. Aber auch bei Neubauten nicht unbedingt. Und wenn die eine Partei dann fertig ist mit den Nerven, dann kommt es schonmal vor, dass Gutachter Nave empfiehlt, die Häuser in der Mitte durchzusägen. Mit einer Diamantsäge, einem mit Diamantsplittern behafteten Edelstahlseil. Eine Prozedur, die Tage dauert und teuer ist. „Doch seit 1989 gilt auf jeden Fall, dass der Architekt auch noch erheblich nach Fertigstellung auf Regress verklagt werden kann“, erklärt Nave die Rechtslage.

Landläufig gilt schallschutzmäßig die DIN 4109 – die „Sozialnorm“, sagt Nave dazu, unterste Kante: Nachbars Niesen und auch das TV-Gemurmel von drüben sind noch normgerecht. Bei dem so genannten „Privatlärm“ – im Unterschied zu Verkehrs- oder Gewerbelärm – gilt: Bis zu 35 Dezibel dürfen tags, bis zu 25 nachts vom Nachbarn herüberdringen. „Denn ab 35 Dezibel“, zitiert Nave wissenschaftliche Untersuchungen, „gleitet der Mensch von der Tiefschlaf- in die Mittelschlafphase.“

Was nach drüben in besagter Lautstärke dringt, darf nur mit „Zimmerlautstärke“ produziert werden. „Und was Zimmerlautstärke ist, darüber gibt es ganze Dissertationen – und es ist dennoch nicht festgelegt. Jeder Richter entscheidet anders“, hat Nave im Lauf der Jahre gelernt.

Was also tun, außer in die Pampa zu emigrieren? Schalldünne Wände lassen sich durchaus mit Gipsbetonplatten isolieren. Aber möglicherweise hilft das gar nicht, denn der Schall kommt durch die Decke, von oben oder nebenan. „Das schwächste Glied zählt“, sagt der Fachmann. Also das meistleitende. Nun kann man sich selbst Gipsbeton an die Wand nageln, aber eigentlich muss einer wie Nave kommen, alles ausmessen und eine Lösung erarbeiten. Für Ottonormalmieter meist zu teuer. Wenn sich die Geräusche also nicht ertragen lassen – und das funktioniert selten – „man steigert sich da ja richtig rein“, weiß Nave – hilft nur noch: Umziehen. Oder Ohropax. Wachskugeln, die weich geknetet und ins Ohr gepresst die Welt zu einer wunderbaren Oase der Ruhe machen. Sechs Paar für 4 Mark 40. sgi