Akustische Attacke

■ „Musiktheater aus Dänemark“ endet mit „Nuit des Hommes“

Wenn man etwas nicht mehr erträgt, kann man die Augen schließen. Bei Geräuschen ist das nicht so einfach. Der Mensch ist nicht mit schützenden Ohrenklappen ausgestattet. Damit er auch im Schlaf noch Schüsse und Bomben, Sirenengeheul und Granateneinschläge hören kann?

Eine akustische Attacke ist Per Nørgårds 1996 uraufgeführte Oper Nuit des Hommes, mit der Kampnagel vergangenes Wochenende sein Projekt „Musiktheater aus Dänemark“ beschloss. Sie spielt im Ersten Weltkrieg und lässt die Schrecken des Krieges, das Warten auf den Angriff, das ferne Vibrieren der Bomben, das martialische Schlachtengedröhne und die Stille nach dem Sturm als eindrucksvolle akustische Lautmalerei schmerzvoll aufleben. Zur Poesie des französischen Dichters Guillaume Apollinaire, der damals wie viele den „großen Krieg“ freudig begrüßte und sich freiwillig meldete, singen die Mezzosopranistin Helena Gjerris und der Tenor Helge Rønning. Begleitet werden sie von einem Streichquartett, einem Percussionisten, einem Keyboarder und elektronischer Musik. Zunächst singen sie von Kriegseuphorie und Heldentum, später von Tod und Zerstörung.

Visuell kann Regisseur Jacob F. Schokking, der auch das Bühnenbild geschaffen hat, den quälend sirrenden bis entladend explosiven Klängen nicht immer standhalten. Warum die beiden Protagonisten Alice und Wilhelm sich lieben, wird genauso wenig deutlich wie deren Verwandlung zur rücksichtslosen Kriegskorrespondentin und zum skrupellosen Soldaten. Die lyrisch verschlüsselten Texte Apollinaires, auf französisch gesungen und auf einer riesigen Leinwand in englischer Sprache projiziert, tragen auch nicht viel zum Verständnis der Handlung bei.

Aber – optisch wirklich gut gelöst – die Schriftzüge korrespondieren mit der Dramatik der Musik. Schocking lässt die Buchstaben mal horizontal, mal vertikal, mal diagonal, mal spiralförmig über die Leinwand tanzen, auf den Zuschauer zurasen, wie Regen hinabtröpfeln oder wie Schüsse hinknallen. Zwei Live-Videokameras projizieren zudem die im Krieg Getrennten Kopf an Kopf zusammen, bis die Gesichter ineinander verschwimmen.

Manches wirkt in der Symbolik aber arg überstrapaziert: etwa wenn Alice ihre Kamera wie ein Gewehr auf Wilhelm richtet oder ihren nackten Körper lüstern unter dem langen Soldatenmantel entblößt. Das weibliche Geschlecht als Schützengraben, in den reihenweise die Männer hineingezogen und dann getötet werden – solche Bilder wirken peinlich überholt. Zeitlos grausam ist dagegen die Szene, in der Wilhelm auf dem Schlachtfeld schläft. Von fern ertönt dieses drohende Donnern und Grollen. Er wacht auf, weitet die Augen vor Schreck, rollt sich wieder zusammen, reißt die Augen gleich wieder auf. Diese Angst bleibt immer im Krieg. Weil man die Ohren nie verschließen kann. Karin Liebe