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Freundhelfer mit Sehtest

■ Überproportional häufig kommen „ältere Mitbürger“ in Bremen sprichwörtlich unter die Räder / Ein Aufklärtrupp von Polizei und Seniorenvertretung soll Abhilfe schaffen

Sie sind ein leidliches Kapitel der Bremer Unfallstatistik: Die Damen und Herren „ältere Mitbürger“, die nach Recherchen der Polizei viel häufiger als alle Unter-65-Jährigen unter die Räder kommen. Abhilfe soll jetzt eine Art „Verkehrsberatung“ schaffen, mit der Polizei und Seniorenvertretung ihre Zielgruppe, besser auf den Alltagsverkehr vorbereiten will.

Kalter Wind lässt die Verkehrsberater derzeit frieren. Auf den Wochenmärkten stehen sie, die beiden Cops und die beiden mitberatenden Senioren, um im Zehn-Minuten-Dreieck zwischen Sparkasse, Post und Lebensmittel-Käufen rund 40 bis 50 Prozent der Senioren zu erreichen. Und das von morgens zehn bis mittags zwölf Uhr, zur besten Einkaufszeit, wenn die reiferen Marktbesucher noch für ein paar Minütchen zu gewinnen sind. Vor dem Essen, so die Erfahrung, hat man Zeit zum Plaudern.

Das Thema für die Plauderstunde indes ist nicht ganz ohne: Im Verkehr sind die Senioren allzu häufig Opfer und Verursacher zugleich. Es geht um Tote (fünf allein in diesem Jahr) und Schwerverletzte (47) von rund 1.600 Unfällen (die leichten nicht mal mitgezählt). Auch rein statistisch gesehen nehmen die so genannten „Senioren-Unfälle“ inzwischen eine dramatische Größe an: Im vergangenen Jahr stieg die Zahl um rund 34 Prozent. Schließlich gebe es immer mehr Senioren, die immer mobiler geworden sind. Und einen immer dichteren Verkehr, zwischen dem alle „nur schnell mal eben“ irgendwie durchmüssen.

Deshalb rückt jetzt die Aufklärungsgruppe auf den Plan – getreu dem alten Polizei-Motto „Gefahr erkannt – Gefahr gebannt“. Noch ist Präventionsarbeit mit Senioren in den wenigsten Städten angesagt, weiß Verkehrssicherheitsberater Volker Scharff. In Bremen hofft man auf diesem Weg die traurigen Zahlen erstmals ein bisschen drü-cken zu können.

Mit Bewusstseinsschärfung über die häufigsten Unfallursachen zum Beispiel: „Die Älteren von uns latschen manchmal einfach so los, empört sich Seniorenvertreterin Emmy Brüggemann. Und überqueren dann ohne Ampel die Haupteinfallstraße. Laufen mit gezücktem Schirm urplötzlich zwischen parkenden Autos auf die Spur. Oder empfangen die herannahende Straßenbahn schon auf der Straße, um nur ja als Erste/R einen Sitzplatz zu ergattern. Volker Scharff kennt sie, die guten und schlechten Gründe für unnötige Eile im Verkehr. Nicht immer geht das gut. Aber: Es geht eben auch anders. Emmy Brüggemann sagt dann ganz direkt: „Man kann deutlich länger leben, wenn man die Ampel nimmt.“

Nach zwei Stunden Frieren, Infozettel („Tipps für Fußgänger“) verteilen, haben Scharff und Mitstreiter rund 150 Mal die Hände geschüttelt. Das Interesse ist groß unter den Alten, die Lernbereitschaft auch. Nachgefragt wird vor allem der kostenlosen Sehtest, der im Ergebnis oft genug den Gang zum Augenarzt nahe legt.

Vier Schwerpunkte hat sich die Polizei in diesem Jahr gesetzt, um mit Prävention die Unfallstatistik da anzugehen, wo sie zu heftig ausschlug. Nächstes Jahr kommen auch noch die Radfahrer dazu, die über das Fahren auf der falschen Seite und über die notorische Miss-achtung roter Ampeln ins Verhör genommen werden sollen.

Das Register, das die Polizei dabei zieht, klingt praktisch, amerikanisch, gut. Drei große Es: Education (Verkehrserziehung), Enforcement (härtere Strafen) und Engineering (Umbau der technischen Anlagen, Straßen, aber abhängig vom Budget). Zusammengenommen wahrscheinlich ziemlich effektiv. Und dann sind da noch die zwei deutschen Ps: Personifizierung (Täter aus der Anonymität rausholen: du, du, du), und Politisierung. Am Ende soll der Verkehrswidrige sich räuig einsichten und für sein Vergehen entschuldigen. Ob das klappt? Das klappt. Die Polizei kennt das schon – aus Erfahrung. pipe

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