: Wortfetischist trifft zwei Abenteurer
■ Die Vorschau: Der Übersetzer Rainer G. Schmidt liest aus Conrads/Fords „Bezauberung“
Rainer G. Schmidt ist Wörterfetischist. Sein Talent: Obsession, nutzbar gemacht in Übersetzungen aus englischer und französischer Sprache. Daneben gibt es den anderen Schmidt, den Lyriker. Er sagt, es finde eine wechselseitige Dynamisierung statt. Viele der Gedichte seines im Frühjahr erschienenen Bandes „Der Fall Schnee“ seien durch Wörter angeregt, die sich festgesetzt hätten, erweitert sein wollten, geformt, verdichtet.
Gut hundert Jahre ist das merkwürdige Buch alt, das der Wortarbeiter am Dienstag im Übersee-Museum vorstellen wird. Sechshundert Seiten lang, geschrieben von Joseph Conrad und Ford Madox Ford, zeitgleich mit ihrem ungleich berühmteren „In the Heart of Darkness“. Eine Abenteuergeschichte auf den ersten Blick, mit vielen Brüchen, die Zweifel aufkommen lassen am Funktionieren der Kollaboration. Er sei immer wieder hängen geblieben, sagt Schmidt. Und doch, eine Faszination muss ausgegangen sein von diesem Werk, das zwei Dichter verfassten, deren Auffassungen vom Schreiben unterschiedlicher kaum sein könnten. Hier der dem Realismus verpflichtete Conrad mit seiner knappen, aufs Ökonomische bedachten Sprache. Auf der anderen Seite Ford, der Impressionist, „vernarrt in Dekorationen, Kulissen, in die Staffagen des bürgerlichen Theaters, kurz: in eine geliehene, nicht erfahrene Welt.“
„Romance“ erzählt die Geschichte des jungen irischen Landadeligen John Kemp. Die Figur amalgamiert nicht nur die Traditionen des Abenteuerromans und der Romanze, sondern ist auch eine Art Remix der Biografien zweier unterschiedlicher Autoren. Kemp erzählt nun in der Retrospektive sein Leben. Kaum über den Tellerrand schauend, dienen Erzählungen von Fremden als Projektionsfläche: „Ich neidete ihm sein geheimnisumwittertes Verschwinden, seinen Aufbruch zu fernen, wilden Abenteuern.“
Es verschlägt ihn in die Karibik, wo er zunächst in unübersichtliche, ihm mitunter kaum verstehbare Abenteuer gesogen wird, bis schließlich in einer Passage, in der Platons Höhlengleichnis mit dem kurzgeschlossen wird, was man später vielleicht Existenzialismus nennen könnte, er den ersten Schritt Richtung Ich-Status vollzieht. Der zweite Schritt ist das Erzählen in der Rückschau selbst.
„Bezauberung“ heißt es im Deutschen und lebt vielleicht gerade von den diversen Brüchen, nicht nur der ungewöhnlichen Zusammenarbeit geschuldet, sondern auch der Tatsache, dass es in die literaturgeschichtlich wichtige Phase fällt, in der versucht wurde, sich gegenüber verschiedenen Genreregeln zu emanzipieren. Aller Anfang ist schwer, was dazu führt, dass hier nicht allein vorausblickend die „Bedingungen des Abenteuerlichen und Romantischen“ gleich miterzählt werden, sondern eben auch Rückfälle zu verzeichnen sind. Aus der heutigen Sicht wirkt beispielsweise das happy ending eher inkonsequent.
Trotzdem lohnt die Lektüre, nicht zuletzt wegen des (fast) durchgängig humoristischen Untertons, wegen der Vielzahl differenziert auserzählter Nebenfiguren und – die Lesung findet in der Piratenausstellung statt! – der gänzlich von Idealisierungen freien Beschreibung karibischer Piraterie.
Tim Schomacker
Rainer G. Schmidt liest am Dienstag, 28. November um 20 Uhr aus Joseph Conrad/Ford Madox Ford: „Bezauberung“; es erschien in der Achilla Presse und kostet 56 Mark
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