: Ein Mord, der niemanden stört
Alles deutet darauf hin, dass Nordirlands IRA den 23-jährigen Joseph O’Connor umgebracht hat
DUBLIN taz ■ Vor dem kleinen Reihenhaus in Ballymurphy im Westen Belfasts haben sich rund 50 Menschen versammelt. Viele von ihnen gehören Sinn Féin an, dem politischen Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), und ein paar IRA-Mitglieder sind auch dabei. Die Leute sind wütend, auf ihren Plakaten verurteilen sie „Polizei-Informanten“ und drohen mit Sanktionen.
Ziel der Demonstration ist Anthony McIntyre. Der 46-Jährige war früher selbst IRA-Mitglied und wurde wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt. 18 Jahre saß er im Gefangenenlager Long Kesh. Inzwischen gehört er der „Irish Republican Writers Group“ an, einer losen Vereinigung von Linken, die den IRA-Waffenstillstand begrüßt, aber mit Sinn Féins Taktik im Friedensprozess nicht einverstanden ist.
McIntyre hat sich den Unmut seiner ehemaligen Genossen zugezogen, weil er die IRA beschuldigt hat, im vergangenen Monat den 23-jährigen Joseph O’Connor durch sieben Kopfschüsse getötet zu haben. O’Connor gehörte der „Real IRA“ (RIRA) an, einer Abspaltung, die weiterhin auf den bewaffneten Kampf setzt.
Die IRA hat in einer Presseerklärung abgestritten, für den Mord an O’Connor verantwortlich zu sein, doch Dutzende Augenzeugen haben in den sieben Attentätern Mitglieder der lokalen IRA-Einheit erkannt. Ihre Namen hat freilich niemand preisgegeben, auch nicht Anthony McIntyre.
Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams, der ebenfalls aus Ballymurphy stammt, hat McIntyre trotz dessen Absage an Gewalt als „Trittbrettfahrer der RIRA“ bezeichnet. „Es ist komisch“, sagt McIntyre, der in einer Wohnung im Universitätsviertel untertauchte, nachdem er Besuch von der IRA bekommen hatte, „diejenigen, die sich selbst als Architekten des Friedensprozesses bezeichnen, haben kein Problem, den Frieden zu brechen, solange der Friedensprozess intakt bleibt.“
Die Mitglieder der RIRA sind zum großen Teil sehr jung und unerfahren, und die Polizei war bei der Unterwanderung der Organisation offenbar recht erfolgreich, wie die Aushebung mehrerer Waffenlager beweist.
Dennoch bringt die RIRA die Strategie von Sinn Féin in Gefahr. Die IRA-Partei will nach den nächsten Wahlen im Süden Irlands an die Macht, und das geht nur durch eine Koalition mit der konservativen Fianna Fail („Soldaten des Schicksals“). Voraussetzung dafür wäre die Auflösung der IRA. Das muss der Basis aber erst mal schmackhaft gemacht werden, und solange eine rivalisierende Organisation existiert, muss Sinn Féin befürchten, dass unzufriedene Mitglieder dorthin abwandern. So sehen es wohl auch die Politiker in Irland und Großbritannien: Keine Partei, und auch nicht die katholische Kirche, hat den IRA-Waffenstillstand in Frage gestellt und den Mord an Joseph O’Connor verurteilt. RALF SOTSCHECK
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