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Meinung bilden statt Erbsen zählen

Was wir wissen müssen (Teil 4): Mit Mendels Vererbungslehre kommen Schüler nicht weit angesichts des Fortschritts in der Gentechnik. Die Frage, wann ein Mensch „gesund“ oder „glücklich“ ist, darf die Schule nicht allein der Biologie überlassen

Es reicht nicht, Schüler zu potenziellen Gentechnikern auszubilden

von SABINE RIEWENHERM

Im Unterrichtsfach Biologie, der Wissenschaft vom Leben, lernen Schülerinnen und Schüler wichtige Dinge über das Leben. Wie die inneren Organe eines Kükens aussehen, wird gelehrt, wie Ameisen organisiert sind oder wie Bäume sich das Wasser von der Wurzel in die Wipfel ziehen. In den höheren Stufen wird es ein wenig politischer: Die Schüler erfahren, dass es den Ökosystemen schadet, wenn zu viel Dünnsäure verklappt wird oder Bauern zu viel Gifte spritzen.

Wenn es um die politische Seite der Biowissenschaften geht, sorgt seit einigen Jahren vor allem die Gentechnologie für heftige öffentliche Diskussionen. Kaum ein Tag vergeht, an dem die Medien nicht über Embryonenforschung, Gentests und Versicherungen, Erbkrankheiten, Patente auf Gentech-Schweine oder die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts berichten. Doch im Biologieunterricht vieler Schulen werden im Fach „Genetik“ noch immer Mendels Erbsen gezählt.

Laut Lehrplan für weiterführende Schulen sollen im Biologieunterricht die „wesentlichen Anwendungsbereiche der Genetik“ sowie „Genmanipulation als Hilfe und Gefährdung“ besprochen werden. Die sparsamen Vorgaben überlassen es den LehrerInnen, in welchem Umfang und wie sie das Thema „Gentechnik“ mit ihren Schülern besprechen. Wer konservativ ist, bleibt den mendelschen Vererbungsregeln treu, redet über Zellkerne und die Erbsubstanz DNS und erklärt Replikation und Crossing-over. Die steigenden Anmeldungenen von Gentechniklabors an Schulen zeigen, dass viele Lehrer inzwischen versuchen, ihren Gentechnikunterricht praxisnah zu gestalten: Sie lassen ihre Schüler Erbgutstückchen in Bakterien hineinbasteln oder verschiedene DNS-Proben miteinander vergleichen, damit sie per genetischem Fingerabdruck einen – fiktiven – Täter dingfest machen können. Wer aber soll an der Schule darüber reden, dass Gentechnologie nicht nur wahr oder falsch, sondern auch gut oder schlecht sein kann – und mithin auch einer moralischen Bewertung unterzogen werden muss?

Viele Lehrer setzen darauf, dass die Untiefen der ethischen Fragen, die sich um die Gentechnik ranken, im Religionsunterricht oder einem ähnlichen Fach angesprochen werden. Interdisziplinär denkende Biologielehrer wollen die ethischen Folgen eines Wissensschaftszweiges auch dort behandeln, wo die Wissenschaft gelehrt wird: in der Biologie.

Aber sie haben es nicht leicht. Informationen außerhalb der Lehrbücher liefern meist nur die Blättchen der Biotech-Industrie – Hochglanz und umsonst. Kritisches Material hingegen ist rar. Die finanziellen Ressourcen der Gentechnik-Kritiker reichen dafür nicht aus, Vierfarbbroschüren an den Schulen zu verteilen. Und von staatlicher Seite besteht offenbar wenig Interesse, auch genkritische Gruppen an der Erstellung von Unterrichtsmaterialien zu beteiligen.

Ein Beispiel ist das „Science-live-Mobil“, vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf die Straße geschickt. In dem zum Labor umgebauten LKW sollen SchülerInnen den praxisnahen Umgang mit der Gentechnik lernen. Die verteilten Informationsmaterialien stammen entweder direkt von der chemischen Industrie oder sind inhaltsgleich mit deren Forderungen. Betreut wird das Mobil-Projekt von der Agentur „BioGene“, die sich nach eigenen Angaben „für Marketing in der Biotechnologie“ zuständig fühlt. Böse Zungen behaupten, dass hier PR-Arbeit für die Gentechnologie-Industrie unter dem staatlichen Deckmantel sachlicher Aufklärung stattfindet.

Dem Politikum Gentechnologie wird es nicht gerecht, möglichst viele Schüler zu potenziellen Gentechnikern auszubilden. Schließlich geht es nicht nur darum, wie ein Gentest funktioniert. Es geht auch um die Frage, für wen ein Gentest sinnvoll ist, welche Probleme er lösen soll und wer von dem Ergebnis profitiert: der Patient, die Versicherung, der kommerzielle Anbieter von Gentests, der Arbeitgeber oder das Budget des Gesundheitsministeriums?

Es ist naiv oder aber eine absichtliche Irreführung, wenn SchülerInnen heute noch vorgemacht wird, unser Leben mit der Gentechnologie finde ausschließlich in Labors statt. Auch und gerade im Biologieunterricht müssen Schüler lernen, sich über den gesellschaftlich-politischen Kontext dieser Wissenschaft eine Meinung zu bilden: Was ist ein „perfekter“ Maiskolben? Was sind „vertretbare Risiken“? Was ist ein „gesunder“, was ein „glücklicher“ Mensch?

Mit Faktenwissen über DNS-Moleküle und dem richtigen Gebrauch einer Mikropipette sind solche Fragen nicht gelöst.

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