: Leit my fire
DAS SCHLAGLOCH von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH
„Hallo, guten Morgen, Deutschland!“
(Tom-Astor-Hitsingle)
Der germanische Mann trinkt gern und überlässt seiner Gattin die Feldarbeit. Erst bei Auslaugung seiner Äcker geht er daran, den besser gestellten Nachbarn zu erschlagen. Klammer Bewunderung nicht fern beschrieb so Caesar die Wilden im Norden aus römisch-dekadenter Sicht. Was für schöne Ansätze. Und aus so was wurde Deutschland.
Entsprechend wenig gelang den Römern im wilden Germanien. Herrmann, der Große – war der kleine Doppelagent Arminius. Fürstensohn, beim überlegenen Feind militärisch ausgebildet; windigwendig genug, im rechten Augenblick die Seiten erneut zu wechseln und Varus’ Legionen zu zermetzgern. Seither suchen die Nachfahren den Ort der Schlacht am Teutoburger Wald. Dabei war der Geist des Ortes nie verloren: Wir heißen Schmidt und machen alles mit. Auch saublöde Wortspiele: genius loci Schmidt.
Was für ein absurdes Gebräu. Der Franke an sich stammt nebst gleichnamigem Reich geradeaus von den nämlichen Ahnen ab, weshalb er trotzdem den Erbfeind gab. Angeln und Sachsen unterjochten die westlichen Inseln, als es hier zu eng wurde: siehe Caesar. Zuvor hatten die deutschen Stämme, von Norden her vordringend, die hiesige keltische Kultur niedergemordet. Sage keiner, wir wüssten nicht, wovon wir reden, wenn wir vor Überfremdung bangen und warnen. Besonders schön ärgern konnte man uns offenbar schon immer mit Scherzen über mangelnde nationale Identität: Noch heute rümpft man angelsächsischerseits gern die Nase über uns „Hunnen“. Die aber waren, unter Leitung ihres Fürsten Attila, das, was man heute „Mongolen“ nennen würde. Hunnen aktuell: maximal Transitcontainer auf dem Frankfurter Flughafen und schnell wieder raus damit.
Ach, du lieber Gott. Aber der hilft einem ja auch nicht weiter. Zumal der Germane an sich naturreligiös war und erst äußerst spät, vor gerade mal 1.000 Jahren, christianisiert wurde. Von Irland aus, zum Beispiel. Im zweiten Durchgang wurde der Katholizismus teilweise mit dem Schwert befestigt. Drollig, welche religiöse Inbrunst wir Zuspätglaubenden von unseren Gästen erwarten. Und wie sehr uns muslimische oder mosaische Inbrunst wiederum ängstigt.
2.000 Jahre nach Caesar bricht nun diese unsortierte Truppe mal wieder eine Debatte über das Wesen ihres Seins vom Zaun. Dabei ist jetzt auch der innerdeutsche Zaun futsch: Immerhin debattiert hier der amtierende Weltmeister im Dabeisein. Jene Spitzentruppe, die soeben einen historischen Weltrekord hingelegt hat: Wir waren 40 Jahre lang die besten Musterschüler in zwei einander ausschließenden Disziplinen. Die artigsten Kommunisten, die prosperierendsten Kapitalisten. Gleichzeitig. Nationale Identität. Lach kaputt.
Wir haben die tollsten McDonald’s-Filialen (bedienungslose Kapitulation), Karies vor Kaugummi und eine leckere kleine Sucht nach Anglizismen. Es war der wohl gehässigste Zug der 68er, „Ami go home“ zu skandieren. Arme NPD, das wollte sie doch eigentlich rufen. Auch Ulbricht, Hitler, Wilhelm, Bismarck kann man, je nach Maßstab, leitkulturell in die Tonne kloppen. Bleibt der alte Fritz als nationaler Ankerpunkt. Der gewährte jedem, diente er nur loyal dem preußischen Staate, „nach seiner Fasson selig“ zu werden. Fritzens Fasson war die französische, so auch seine Sprache und seine intellektuellen Vorbilder. Erst recht, nachdem sein urteutscher Vater ihm den Geliebten aus pädagogischen Gründen vor seinen Augen hatte erschießen lassen. Ein unterdrückter Schwuler mit Frankreich-Fimmel. Nicht schlecht für ein nationales Leitbild.
Mag sein, dass viele Nachbarn entlang der europäischen Straße ein hübsch-beschauliches Vorgärtchen haben. Wir geben den liebenswürdigen Knallkopf, der bei der Erbteilung die brodelnde Straßenkreuzung abgekriegt hat. Trotzig stampft er mit dem Fuße auf und knödelt gegen den unausgesetzten Radau an: „Hier ist es aber auch gemütlich!“ Hört keiner, ist aber lustig. Die Planspiele „keiner darf auf unsere Kreuzung“ wie auch „teilen wir die Kreuzung, dann ist Ruhe“ haben wir im vorigen Jahrhundert hinter uns gebracht. Nur die Kreuzung ist noch da.
„Geopolitisch“ hat Deutschland eben ziemlich viele Nachbarn, wenig naturgegebene Grenzen. Und einen tradierten Hang dazu, sich vor diesen Tatsachen die Augen zuzuhalten. Im altertümlichen Selbstlob, ein Volk der „Dichter und Denker“ zu sein, mag ein Gran der Erkenntnis stecken: dass wir liebend gern über uns grübeln, statt nur wir zu sein. Das dämonisch große Markenzeichen neuzeitlichen Deutschtums ist selbst eine Kreuzung – aus roher Brutalität und anschmiegsamer Effizienz, aus Teutonentum und Schlitzohrigkeit, aus Hau-drauf und aber vorher den Chef fragen. Das ist nicht wirklich liebenswert. Es könnte jedoch heiter-melancholisch sein, sich nach allem, was war, behutsam mit den Gegebenheiten abzufinden.
Friedrich Merz und die Seinen können und wollen sich nicht darauf zurückziehen, diese an sich Frucht bringende Debatte nur provoziert zu haben. Zur gleichen Zeit prollte Roland Koch sehr wohl bewusst in Dachau, die Bundesregierung dramatisiere den Rechtsradikalismus. Viele, die beim „Aufstand der Anständigen“ zum Brandenburger Tor zogen, haben im Zuge der Asyldebatte höchst Unanständiges salonfähig gemacht: Diese und ähnliche Demonstrationen sind possierliche Bilder: Deutsche, die gegen sich selbst demonstrieren, dies aber mit Entschlossenheit und klarer Moral.
Gelänge es, die deutsche Leitkultur zu definieren: Viel mehr, als dass wir die sind, die sich ständig einen Kopf machen, wer sie denn nun eigentlich sind – könnte seriöserweise nicht dabei herauskommen. Als politisch anwendbares Wissen, als Maßstab „Wer darf rein“ taugt Leitkultur einen Dreck. Wie jede besteht auch die vermeintlich deutsche Kultur aus einem Sammelsurium unklarer Herkunft, sie ist das Gegenteil von definierbar. Zum anderen taugt Goethe nicht als Grund gegen Bürgerkriegsopfer, ein Umlaut widerlegt nicht Armut anderswo, und selbst latente Fremdenangst lässt sich nicht so einfach zum Einwanderungskriterium hochdefinieren: „Sie dürfen aber nur rein, wenn Sie die anderen Ausländer mit uns doof finden.“
So. Vielen Dank. Hat Spaß gemacht. Angedauter Geschichtsunterricht mal Halbwissen an liberaler Soße, als Nachtisch reichen wir politische Schlussfolgerungen. Die Leitkulturdebatte in allen Medien besteht wesentlich aus ihrer meist gut begründeten Ablehnung, sie hat Erstaunliches und Ungekanntes über Deutschland zu Tage gefördert. Sie entspricht einem offenbaren Bedürfnis. Die Einladung, hier nachgerade augsteinoid loszuschwurbeln, habe auch ich dankend angenommen. Es mag ja obercool sein, diese Fragen bereits als Fragen abzulehnen und nicht in die Falle zu gehen: Wenn wir unser Deutschsein nicht untersuchen, tun’s die Rechten allein und falsch. Aber „cool“ ist noch so etwas, was wir gern sagen, aber nicht sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen