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Am Niederrhein droht „Land unter“

Nach der Auskohlung des Braunkohletagebaus Garzweiler I Iaufen die Keller im Dorf Kleinenbroich mit Grundwasser voll. Die Bewohner machen die Stadt verantwortlich, die das Problem vernachlässigt habe. Heute demonstrieren sie vor dem Landtag

von PASCAL BEUCKER

Schwarze Tücher an den Türen der roten Einfamilienhäuser sind die ersten Anzeichen: Im Dorfer Feldweg in Kleinenbroich braut sich etwas zusammen. Im Wohnzimmer von Gisela Holzapfel organisieren sechs Frauen den Aufstand. Demonstrationserfahrungen? Die Frauen vom „Grundwasser-Demo-Team“ schütteln ihre Köpfe. Es wird also eine Premiere sein: Heute ziehen sie zusammen mit über tausend weiteren Frauen und Männern aus dem 10.330-Einwohner-Ort ins benachbarte Düsseldorf, um vor dem Landtag für die Rettung ihrer Häuser zu demonstrieren.

Hier, im Einzugsbereich des Rheinischen Braunkohletagebaus Garzweiler I, wurde die Grundwasseroberfläche seit Ende der 50er-Jahre durch Sumpfungen künstlich abgesenkt – um bis zu zehn Meter. Inzwischen ist der Tagebau weitergezogen. Nun steht die Renaturierung an. Das Grundwasser steigt allmählich wieder auf seinen natürlichen Stand. Doch darauf sind viele der erst in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren gebauten Häuser in dem Korschenbroicher Stadtteil nicht vorbereitet. Spätestens 2005 wird es ungemütlich.

„Wir werden 1,79 Meter Wasser im Keller haben“, sagt Yvonne Rösch. Sie befürchtet, dass ihr Haus schon im kommenden Frühjahr aufgrund der aufsteigenden Feuchtigkeit von toxischen Schimmelpilzen befallen werden könnte. Gegen die ist ihre sechsjährige Tochter allergisch. „Dann werden wir ausziehen müssen“, sagt die 38-Jährige.

In den letzten Wochen haben Yvonne Rösch, Gisela Holzapfel und ihre Mitstreiterinnen Marita Brunsbach, Carmen Büttner, Julia Eichin und Anja Kaiser Tausende Flugblätter verteilt. Und sie haben zahlreiche Transparente und Plakate gemalt: „Unsere Stadt ertrinkt“, „15 Jahre geträumt“, „Das Wasser darf nicht weiter steigen“ und „Wir fordern: trockene Keller jetzt und später“.

Die Resonanz aus der Bevölkerung sei groß, berichtet Julia Eichin. Sogar Korschenbroichs berühmtester Einwohner, Berti Vogts, habe sich mit ihnen solidarisch erklärt. Eichin zog vor zehn Jahren zusammen mit ihrem Mann Thomas – damals noch Fußballbundesliga-Spieler im benachbarten Mönchengladbach – in den Dorfer Feldweg. Das hätten sie nie getan, wenn sie das Problem gekannt hätten. „Wir werden hier im Prinzip enteignet.“ Was sei das sonst, wenn ihr Haus unbewohnbar und wertlos werde? Verantwortlich macht sie die Stadt und den Kreis Neuss, zu dem Korschenbroich gehört. „Unsere Kommunalpolitiker haben fünfzehn Jahre gepennt, jetzt sollen wir zahlen“, empört sich die zweifache Mutter.

Bereits 1985 warnte der Technische Beauftragte der Stadt in einem Schreiben an den damaligen Bürgermeister: Sollte Rheinbraun jemals seine Sümpfungsmaßnahmen beenden, dann könnten wohl alle nach dem Krieg gebauten Keller zu Schwimmbecken umfunktioniert werden. Auch in einem von der Stadt 1986 in Auftrag gegebenen Gutachten wird auf die Gefahr hingewiesen. Doch die Stadtoberen Korschenbroichs sahen keinen Handlungsbedarf. Es gab weder Schutzmaßnahmen noch Hinweise in den Bebauungsplänen. Weiterhin wurden unverdrossen Baugenehmigungen ohne entsprechende Auflagen erteilt. Es sei nicht Aufgabe der Bauaufsicht, die Frage zu beantworten, wie sich das Grundwasser entwickeln werde, sagt Kreisdirektor Hans-Jürgen Petrauschke. Auch der Korschenbroicher CDU-Fraktionschef Friedel Hertel hält die christdemokratisch regierte Stadt nicht für verantwortlich: „Aus unserer Sicht sind Bauträger, Architekten und in erster Linie das Land als Genehmigungsbehörde des Tagesbaus heranzuziehen.“

Gisela Holzapfel hält das für einen plumpe Ausrede: „Die wollen nur von ihrem Versagen ablenken und sich vor den Konsequenzen drücken.“ Durch den geplanten Braunkohletageabbau Garzweiler II verschärft sich das Grundwasserproblem noch. Weitere Einleitungs- und Versickerungsmaßnahmen werden nötig sein. „Dann bleibt uns noch weniger Zeit“, befürchtet Hubert von Grabczweski, Bürgervertreter in der städtischen Grundwasserkommission. „Das wäre der Ruin für etwa 3.000 Häuser im Korschenbroicher Stadtgebiet.“

Die Betroffenen hoffen nun auf die Hilfe der Landesregierung, insbesondere von Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne). Von ihr erwarten sie finanzielle Unterstützung für Sicherungsmaßnahmen und die Einrichtung eines Grundwassermanagements, das den Wasserstand auf einem ungefährlichen Niveau stabilisieren kann. „Wir sind doch gefangen“, klagt Carmen Büttner. „Versuchen Sie mal, hier ein Haus zu verkaufen!“ Bei ihr steht das Wasser nur noch 75 Zentimeter unter dem Keller.

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