piwik no script img

„Ich habe alles falsch gemacht“

Die Besitzer der Kampfhunde, die den sechsjährigen Volkan töteten, stehen vor Gericht. Er schweigt, sie nimmt die Schuld auf sich  ■ Von Elke Spanner

Sie spricht nicht, sie haucht die Worte. Silja W. berichtet nicht über ihren Hund, sondern über „sie“. Irgendwann später wird sie sagen, sie habe ihre Kampfhündin Gypsi „wie mein Baby behandelt“, und dass das ein Fehler war. Pitbull-Mischling Gypsi und der American Staffordshire Zeus ihres Freundes Ibrahim K. bissen am 26. Juni in Wilhelmsburg ein Kind tot. Gestern eröffnete das Landgericht den Strafprozess gegen die beiden HundebesitzerInnen. Ibrahim K. wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen, weil er die Tiere trotz Leinenzwangs frei herumlaufen ließ. Silja W. ist wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Sie hatte Gypsi dem Freund mitgegeben, obwohl sie wusste, dass der laut Behördenauflage nur einen Hund ausführen durfte – an der Leine.

Für viele Wilhelmsburger NachbarInnen traf damals ein, was sie schon lange befürchtet hatten. Ihre Erzählungen über Ibrahim K. bestätigten das Bild eines Milieus, in dem man Hunde nicht aus Tierliebe, sondern als Waffe hält: Leben zwischen Hochhäusern, Rumhängen mit „Kollegen“, der Tag statt mit Arbeit mit dem Abrichten eines Pitbulls gefüllt. Ibrahim K. habe Zeus scharf gemacht, Behördenauflagen ignoriert und sich höhnisch darüber hinweggesetzt, wenn jemand ihn bat, den Hund an die Leine zu nehmen. Auch im Prozess macht es der 24-Jährige einem leicht, an diesem Bild festzuhalten. Er sagt nichts, er traut sich, die weinenden Eltern des kleinen Volkan anzublicken, und während sich seine Freundin zitternd und weinend zu ihrer Schuld bekennt, verzieht er keine Miene. Sein Anwalt verkündet vor dem Saal, dass er an einen Freispruch glaubt, „mein Mandant hat sich nicht strafbar gemacht“.

Silja W. aber durchbricht das Bild. Alles an ihr ist blass, das Gesicht, die Farbe ihrer Haare und das einstmals schwarze Jacket. Die 19-Jährige schafft es nicht, Volkans Eltern anzublicken, und sagt: „Ich habe nicht das Recht, um Verzeihung zu bitten.“ Alle Vorwürfe in der Anklage seien richtig, sie sei mitschuldig an Volkans Tod, und auf die Frage des Richters, was sie falsch gemacht habe, antwortet sie: „Alles.“ Heute, sagt sie, kann sie selbst nicht mehr verstehen, wie sie verdrängen konnte, dass ihr Hund für Menschen gefährlich geworden war. Die Behörde hatte ihr auferlegt, Gipsy nur mit Leine auszuführen, und trotzdem ließ sie die Hündin frei laufen. Sie hatte auch eine Aufforderung bekommen, den Pitbull-Mischling zum Amtstierarzt zu bringen. Die ignorierte sie, „ich hatte kein Geld“. Auch nicht für den Maulkorb, den sie eigentlich kaufen wollte – nachdem Gipsy bereits im Mai ein Mädchen gebissen hatte.

Die beiden Kampfhunde hatten mehrfach schon zugebissen. Mit anderen Hunden hätten sie sich „nicht vertragen“, und Kinder hätte Gipsy immer angebellt. Bei jenem Vorfall im Mai war es dabei erstmals nicht geblieben. Die Hündin rannte auf eine Gruppe Mädchen zu, die sprangen erschrocken weg, eins stolperte, Gipsy biss zu. Damals war es nur der Arm.

Seit sein Hund den kleinen Vol-kan tötete, sitzt Ibrahim K. in Untersuchungshaft. Dass er vorerst schweigt, lässt er über seinen Anwalt mit „Sicherheitsbedenken“ erklären, er sei bedroht worden. Kommenden Freitag wird er möglicherweise aussagen. Seine Freundin behauptet, dass sie die Hunde nicht abgerichtet, sondern mit ihnen nur gespielt und sie nach den ersten Vorfällen sogar viel in der Wohnung gelassen hätten. Doch Zeus galt als „stärkster Kampfhund Hamburgs“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen