piwik no script img

Noch immer Lust auf Fleisch?

Eine Lehre sei aus der BSE-Krise zu ziehen, meint Ernährungswissenschaftlerin Angelika Michel-Drees: Wer sicher leben will, muss in Zukunft weniger, aber dafür besseres Fleisch essen. Und: Der völlige Verzicht auf Fleisch kann auch nicht schaden – im Gegenteil.

Es sind viele Fragen offen, und es gibt zu wenige Antworten. Wir wissen heute nach wie vor nicht, welche Übertragungsmöglichkeiten es bei BSE gibt. Wir kennen die Möglichkeit der Übertragung bei Rindern über Tiermehl. Aber es gibt auch Hinweise, dass BSE vom Muttertier zum Kalb übertragen werden kann. Auch die Übertragung über die Ausscheidung ist in der Diskussion – dies könnte auch bedeuten, dass Weideflächen mit BSE verseucht sind. Wir wissen viel zu wenig über die Möglichkeiten, die dieser Erreger hat, sich zu bewegen: Die Forschungen laufen noch.

Es geht aber nicht nur ums Rindfleisch: Auch der Verzehr von Schaffleisch ist möglicherweise nicht völlig risikolos. Denn noch nie wurde flächendeckend geprüft, ob sich Schafe mit BSE reinfizieren können. Bei Geflügel und Schwein wurde getestet, ob sie sich infizieren, wenn sie über einen langen Zeitraum mit infizierter Nahrung gefüttert werden. Das Ergebnis: keine Ansteckung. Die Tiere infizierten sich nur, wenn ihnen direkt Risikomaterial ins Gehirn gespritzt wurde. Dennoch gilt für Geflügel und Schwein, möglicherweise auch für Fische aus Fischfarmen: Wir wissen wenig, Infektionen sind nicht mit hundertprozentiger Sicherheit auszuschließen.

Es hilft nichts: Die Verbraucher müssen ihre Konsumgewohnheiten ändern, um das Risiko zu minimieren. Es muss ja nicht jeder gleich zum Veganer werden. Verzichtet werden muss aber in jedem Fall auf anonymes Fleisch. Beim Metzger muss man fragen, woher das Fleisch kommt. Besonders heikel sind Fleischerzeugnisse, Wurst und Fertiggerichte, bei denen der Verbraucher überhaupt nicht erfährt, was genau drin ist. Er erfährt höchstens, ob Rindfleisch enthalten ist. Obwohl immer beteuert wird, dass Risikoteile wie Hirn, Rückenmark und Augen schon seit Oktober 2000 aus der Nahrungs- und der Futtermittelkette genommen worden wären, kann nicht völlig ausgschlossen werden, dass sich dieses Verbot bis an die Basis durchgesetzt hat. Nur die Ökoproduktion und einige wenige Markenprogramme schließen die Verwendung von Tiermehl aus.

Jeder Verbraucher muss daher selbst entscheiden. 100-prozentige Sicherheit hat nur, wer seine Ernährungsgewohnheiten und seinen Speiseplan ändert.

Ohnehin sind die Essgewohnheiten zu stark auf Fleisch ausgerichtet. Vor dem Zweiten Weltkrieg, aber auch noch einige Jahre danach waren in Deutschland ein Sonntagsbraten und vielleicht noch einmal pro Woche Fleisch üblich. Die Ernährung war damals gesünder. Später wurde mehr Fett, mehr Süßes gegessen – und zu viel Fleisch und Wurst. Das verursachte ernährungsbedingteKrankheiten. Tierische Fette enthalten zum Beispiel gesättigte Fettsäuren und Cholesterin, was Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen kann. Sie enthalten aber auch Turine, die Gicht hervorrufen können. Deshalb lohnt es sich, die Ernährungsgewohnheiten zu ändern. Ein- bis zweimal Fleisch oder Wurst pro Woche ist genug. Wer seltener Fleisch einkauft, kann sich dafür auch höhere Qualität leisten. Dann kann sich auch die Landwirtschaft auf eine höhere Qualität besinnen und entsprechend produzieren.

Völlig auf Fleisch zu verzichten schadet aber auch nicht. Der Verbraucher muss die Nahrung nur konsequent umstellen. Wichtig sind: viel Obst, viel Gemüse und viele Salate, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Milcherzeugnisse, Käse, ab und zu ein Ei und Seefisch. Studien haben gezeigt, dass Menschen gesünder leben, die wenig oder gar kein Fleisch essen. Auch wenn die Aufregung um BSE abklingt, müssen in Deutschland die Ernährungsgewohnheiten überdacht werden. Die nächste Gelegenheit bietet sich schon bald: Der Weihnachtskarpfen kann den Braten ablösen.

Auf den leckeren Braten in Zukunft verzichten? Nein, danke! meint Andrea Arcais, Geschäftsführer von Slow-Food Deutschland. Den Appetit will der Genießer sich nicht verderben lassen. In einem ist er sich mit Michel-Drees einig: auf den Industriemüll in den Kühlregalen lässt sich leicht verzichten.

Soll ich mir jetzt den wunderbaren Lammbraten von der Zwillbrocker Moorschnucke abgewöhnen oder den traumhaft fetten Speck „Lardo collonato“ in die Sondermüll-Tonne kloppen? Niemals! Ich bekenne: ich esse Fleisch. Und werde es mir auch nicht verbieten lassen. Eine Zukunft mit Vollkornbrötchen, Sauerkrautsaft und der ständigen Rückversicherung in der Ernährungsbroschüre meiner Krankenkasse kann ich mir nicht vorstellen.

Rindfleisch allerdings stand noch nie ganz oben auf meiner persönlichen Speisekarte. Es gibt eben leckereres Viechzeug. Einen feinen Braten auch weiterhin zu verspeisen, ist keine Solidarität mit den Fleischerzeugern und erst recht keine trotzige Kamikaze-Aktion, sondern eine Entscheidung, die in meiner Haltung zum Essen begründet liegt, zu der auch mein Grundrecht auf Genuss gehört. Also auch auf: Fleisch.

Essen nach Inhaltsstoffen und Diättabellen auszusuchen, ist total lustfeindlich. Mein Körper meldet sich schon, wenn er etwas braucht.

Hierzulande muss es immer erst das Eigene treffen, bevor es so richtig weh tut – und nun sind es deutsche Rinder, bei denen BSE nachgewiesen wurde. Natürlich stellt sich die Frage, ob wir überhaupt noch Fleisch essen sollen. Aber warum denn nicht? Allerdings überlegt.

Zunächst einmal esse ich Fleisch seit langem nur noch aus biologischer Produktion und aus regionaler Aufzucht. Das ist die einzige mir bekannte Möglichkeit einer Risikominimierung, zum anderen – ebenso wichtig – dieses Fleisch schmeckt bedeutend besser als das aus Massentierhaltung und industrieller Produktion. Da ich aber nicht zu den Reichen in dieser Republik gehöre, findet sich allerdings das Fleisch nicht so häufig auf meinen Tellern. Es ist nämlich schlicht und ergreifend mindestens doppelt so teuer, wie der Industriemüll an der Supermarkt-Fleischtheke.

Meine Freundin isst schon seit 15 Jahren kein Fleisch mehr – unabhängig von allen Gefahren – weil es ihr einfach nicht schmeckt. Das ist nicht nur zu respektieren, sondern eine persönliche Geschmackssache. Ich halte nichts von der gerade in Deutschland weitverbreiteten Mentalität, alles mindestens 150-prozentig zu machen. Die Alternative, intensivstes Fleischfressen zu Billigpreisen oder totaler Verzicht auf Fleisch, ist in Wirklichkeit keine. Zwischen in Bratensaft schwimmender Ignoranz und der Illusion von Sicherheit durch Askese liegt die Einsicht, dass die BSE-Seuche vor allem eines aufzeigt: Unsere industrialisierte Landwirtschaft und Lebensmittelmassenproduktion ist qualitativ am Ende.

Was Not tut, ist eine radikale Kehrtwende der Politik und des Verbraucherverhaltens. Gefördert, gehandelt und gekauft gehören ausschließlich Qualitätsprodukte. Händler und Gastronomen müssen ihr Sortiment um regionale Produkte erweitern. Das ist lästiger, weil Engagement dazugehört: Diese Produkte bekommt man selten im Großhandel. Der Verbraucher muss beim Einkauf nicht aufs Preisschild achten, sondern auf das Qualitätssiegel.

Qualität hat einen deutlich höheren Preis als die industrielle Billigware. Höhere Preise sind aber kein notwendiges Übel in Zeiten der Krise, sondern die Grundvoraussetzung für eine qualitativ hochwertige Lebensmittelproduktion. Wer diesen Preis nicht bezahlen will und zu einer radikalen Änderung – nicht nur beim Fleisch – nicht bereit ist, der hat keine Sicherheit. Auch nicht durch Verzicht auf Fleisch!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen