: Zurück zum nationalen Postsozialismus
Der SPD-Vorsitzende des Bundestags-Unterausschusses für Telekommunikation und Post protestiert gegen die Liberalisierungspolitik der Bonner Regulierungsbehörde. Er hält die jetzt angeordneten Pauschaltarife für Internetprovider für eine volkswirtschaftliche und gesellschaftspolitische Gefahr
von NIKLAUS HABLÜTZEL
Leidgeprüfte Kenner der Telekom ahnten schon am 15. November, dass der Ärger keineswegs ausgestanden sei. An diesem Tag hatte in Bonn die Regulierungsbehörde Telekommunikation und Post (RegTP) angeordnet, das immer noch mehrheitlich dem Staat gehörende Unternehmen habe seinen Konkurrenten eine so genannte Flatrate für die Durchleitung von Internetdaten zu den Kunden in Privathaushalten einzuräumen, einen Preis also, der nicht von der Nutzungsdauer und Datenmenge abhängt, sondern als feste Größe in die Rechnung der Zugangsanbieter eingeht.
Die Einsicht, dass nur so die alte Forderung nach erschwinglichen Pauschalen auch für den privaten Zugang zum Internet erfüllbar wird, folgt aus den Grundregeln der Betriebswirtschaft. Den marktwirtschaftlich vertretbaren Preis der Pauschale hat die Regulierungsbehörde jedoch nicht genannt. Von Gesetzes wegen ist die Telekom nur verpflichtet, ihre Leitungen, insbesondere die letzten Meter zu den privaten Haushalten, die sie zu etwa 98 Prozent selbst besitzt, den Konkurrenten zum Selbstkostenpreis anzubieten. Was diese Vorschrift für eine Flatrate bedeutet, ist nicht leicht zu ermitteln. Wahrscheinlicher als die schnelle Einführung von Internetpauschalen in der von AOL und anderen Providern anvisierten Höhe zwischen 40 und 60 Mark monatlich sind daher weitere Klagen bei der Regulierungsbehörde, die erst dann über Preise entscheiden kann, wenn ihr die Telekom Zahlen vorlegt.
Ihre Entscheidungen haben der Nachfolgerin des Postministeriums einigen Respekt verschafft. Doch seit Montag dürfen große wie kleine Internetprovider nicht mehr mit ihrer Unterstützung rechnen. Der bayerische Sozialdemokrat Klaus Barthel, über eine Gewerkschaftskarriere Mitglied des Bundestags geworden und dort nunmehr als Vorsitzender des Unterausschusses für Telekommunikation und Post amtierend, hat ein 9 Seiten langes Papier veröffentlicht, das nichts weniger ankündigt als das Ende der eben erst begonnen Liberalisierung. Es steht unter der parteichinesischen Überschrift „Einige Thesen zur aktuellen Debatte über die Situation auf den Telekommunikations- und Postmärkten sowie zur Arbeit der RegTP“ und beginnt mit einer Personalie. Wenige Tage nach dem Flatrate-Beschluss gab der Leiter der Regulierungsbehörde, Klaus-Dieter Scheurle, seinen Rücktritt zum Beginn des nächsten Jahres bekannt. Barthel möchte nun gleich im ersten Absatz „insbesondere der hie und da geäußerten Vorstellung“ widersprechen, „die SPD habe Herrn Scheurle aus dem Amt gemobbt“.
Der Beweis dieser These ist gelungen. Von bloßem Mobbing kann keine Rede sein. Barthels Papier ist das Kündigungsschreiben. Schon auf der nächsten Seite geht es zur Sache. „Die auf Wettbewerb auf den nationalen Märkten zentrierte Regulierung“ – ebendas ist der gesetzliche Auftrag der Behörde – „stößt allmählich an Grenzen“, schreibt der Abgeordnete, und nennt eine Reihe von „Gefahren“. Teils handelt es sich um kraus umformulierte, uralte Dauerklagen der Telekom (internationale Wettbewerbsnachteile, zu große Vorteile für nationale Konkurrenten, zu langwierige Verfahren), teils um noch ältere Schlagworte aus der Vorzeit der Privatisierungsdebatte. Barthel beklagt etwa die „Vernachlässigung volkswirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Zielsetzungen bei der Weiterentwicklung universeller Dienstleistungen“ oder bei der „Durchsetzung sozialer Standards“.
Die sozialdemokratische Lieblingsidee der staatlich organisierten „Grundversorgung“ lässt grüßen, und das geduldige Papier wäre nicht der Rede wert, fiele sein Autor nicht gelegentlich doch aus der Rolle des Politbürokraten. Es sind nicht seine konfusen Bedenken gegen die Vorgaben der EU oder gar der eher komische Hinweis auf den Elektrosmog der Mobilnetze, was ihn zu schreiben trieb, es ist allein die Flatrate für Internetprovider. Wann immer er darauf zu sprechen kommt, wird er deutlich und sein Papier zum blanken Skandal, nicht weil es Position bezieht, sondern weil kaum vorstellbar ist, dass ein Mitglied der Regierungsfraktion so vollkommen realitätsfern über ebendas Thema faselt, für das es parlametarisch verantwortlich zeichnet. Barthel schreibt unter anderem: „Die jetzt anvisierte Flatrate wird ein Sonderangebot für Großkunden, das für den Normalverbraucher zu teuer ist.“
Niemand hat außerhalb der SPD-Betonfraktion an regulierte Endpreise bisher auch nur gedacht. Wer so wenig begriffen hat, kann wohl nur auf nationale Alleingänge setzen. Folgerichtig will Barthel der europäischen Liberalisierung der Telekommunikation eine „kohärente und integrierte Kommunikationsordnung zunächst auf nationaler Ebene“ entgegensetzen. Sie soll unter allen Umständen verhindern, dass andere als staatlich kontrollierte Unternehmen ihren Kunden faire, bezahlbare, und natürlich auch flächendeckende Angebote machen können – allein das war der Sinn der über alle Parteigrenzen hinweg erhobenen Forderung nach einer Großhandels-Flatrate.
Mitte Januar wird der Beirat der Regulierungsbehörde Klaus-Dieter Scheurles Nachfolger wählen. Als aussichtsreichster Kandidat gilt Matthias Kurth, Sozialdemokrat und Vizepräsident der Bonner Behörde. Da er davor Mitglied der Geschäftsführung bei der deutschen Tochter der Telefongesellschaft COLT war, kann man hoffen, dass er seinem Parteifreund im Bundestag zu widersprechen wagt. Wenn er seinen gesetzlichen Auftrag weiterhin erfüllen will, muss er verhindern, dass Barthels Thesen Regierungspolitik werden.
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