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Rüder Ton bei Beschwerden

Weil er gewagt hatte, die Polizei zu kritisieren, wurde ein Kaufmann wegen Beleidigung verurteilt. Das Verfahren ist zwar eingestellt worden. Die Polizei sieht dennoch keinen Grund zur Selbstkritik

von PLUTONIA PLARRE

Der 35-jährige Einzelhandelskaufmann Andreas N. gehört nicht zu den Leuten, die automatisch rotsehen, wenn sie einen Polizisten erblicken. Aber sein positives Bild von der Polizei als Freund und Helfer hat seit dem Sommer einen bösen Kratzer. Zusammen mit zwei anderen Bürgern hatte es Andreas N. gewagt, einen Polizeieinsatz gegen eine russische Balalaika-Straßenmusikantin zu kritisieren. Der Beschwerdebrief hatte zur Folge, dass die drei Bürger von der Polizei wegen Beleidigung angezeigt und vom Amtsgericht per Strafbefehl zu jeweils 900 Mark Geldstrafe verurteilt wurden. Erst Ende Oktober, als die Presse über den Fall berichtete, ist das Verfahren überraschend eingestellt worden.

Die drei Bürger hatten sich die darüber beschwert, dass die Balalaika-Spielerin von Polizisten „wie eine Schwerverbrecherin“ in den Dienstwagen gezerrt worden sei, obwohl sie zu keinem Zeitpunkt Widerstand geleistet habe. Wegen Beleidigung angezeigt und verurteilt worden waren sie wegen des folgenden Satzes in dem Beschwerdebrief: Es „hat sich uns leider die Frage aufgedrängt, ob die Behandlung dieser Frau eine andere gewesen wäre, wenn sie über einen deutschen Pass verfügt hätte“.

Der Fall wirft die Frage auf, ob es Usus ist, dass die die Polizei Kritiker mit Strafanzeigen überzieht. „Es passiert schon, dass aufgrund von Beschwerden Anzeigen wegen Beleidigung oder falscher Verdächtigung erstattet werden“, sagt Polizeihauptkommissar Frank Spitzer, Leiter der Beschwerdestelle im Polizeipräsidium. Eine Statistik über die genaue Anzahl gebe es nicht, die Quote sei aber „sehr gering“. Häufiger würden aufgrund von Beschwerden Strafanzeigen gegen Polizisten eingeleitet. Aber auch dazu gebe es keine Erhebung.

In der 28.000 Beschäftigte zählenden Polizeibehörde sind 20 Mitarbeiter für die Bearbeitung von Beschwerden abgestellt. 1999 sind 2.600 Beschwerden über die Polizei eingegangen, die Zahl in diesem Jahr hat sich leicht gesteigert. Besonders aussagekräftig sind diese Zahlen nicht, weil sich längst nicht jeder Bürger beschwert, wenn er missliebige Erfahrungen mit der Polizei gemacht hat.

Immerhin ist die Polizei in Berlin aber die einzige Behörde, die schon seit Jahren ein Beschwerdemanagement betreibt. Bei den anderen Ämter ist so etwas erst im Aufbau. Auch die Polizeien im übrigen Bundesgebiet verfügen über keine vergleichbare Einrichtung.

70 Prozent aller eingehenden Beschwerden sind Sachbeschwerden, 30 Prozent Verhaltensbeschwerden. Die Aussicht, von der Polizei Recht zu bekommen, sind allerdings gering. „70 Prozent der Beschwerden sind unberechtigt, 15 Prozent berechtigt, und 15 Prozent bleiben offen“, sagt Spitzer. Bei den Sachbeschwerden handele es sich im Wesentlichen um Proteste von Verkehrsteilnehmern, die sich ungerecht behandelt fühlen. „Die Menschen wissen zu wenig Bescheid über die Straßenverkehrsordnung“, nennt er als Grund. Bei den Verhaltensbeschwerden geht es vor allem um Klagen von Bürgern über den Tonfall und die Argumentation von Polizisten, über unkorrekte Dienstkleidung und Nichtaushändigen von Dienstkarten. „Die meisten Beschwerden“, so Spitzer, „beziehen sich auf den Tonfall und die Argumentation.“

Die Beamten der Beschwerdestelle haben die Aufgabe, jedem Fall nachzugehen, vorausgesetzt, die Beschwerde ist „nicht unsachlich“ vorgetragen. Vom Bundestagsabgeordneten, Botschafter über den normalen Bürger bis hin zu Querulanten – Klagen über die Polizei kommen aus allen Teilen der Gesellschaft. Im Unterschied zu den normalen Beschwerdeschreibern gehen die Briefe von Politikern und hoch gestellten Persönlichkeiten jedoch über den Tisch des Polizeipräsidenten.

Im Normalfall wird der Polizist, über den Klage geführt wurde, zu dem Sachverhalt befragt und Aktenvorgänge zum Fall überprüft, bevor der Beschwerdeschreiber einen abschließenden Bescheid bekommt. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit beträgt drei bis vier Wochen. Wenn sich abzeichnet, dass es zu einem Disziplinar- oder Strafverfahren kommt – egal ob gegen den Beamten oder den Beschwerdeführer – muss die Beschwerdestelle den Fall abgeben. So sei es auch im im Balalaika-Fall gewesen, sagt Spitzer. Aufgrund der Presseberichterstattung habe der Fall in der Behörde natürlich für Gesprächsstoff gesorgt. Die öffentlichen Kritik, dass die Polizei mit der Strafanzeige vollkommen überzogen reagiert hat, teilt der Leiter der Beschwerdestelle nicht. „So verkehrt kann das nicht gewesen sein, schließlich hat der Kollege, der sich beleidigt fühlte, in erster Instanz Recht bekommen.“

Um herauszufinden, wie die Arbeit der Beschwerdestelle bewertet wird, führen Spitzer und seine Leute bei ihren „Kunden“ seit geraumer Zeit eine anoyme Fragebogenaktion durch. Naturgemäß seien die Leute mit der Arbeit nur dann in vollem Umfang zufrieden, wenn sie von der Beschwerdestelle Recht bekämen, sagt der Leiter. „Aber viele sind trotzdem froh, weil ihr Fall zumindest noch einmal grundsätzlich überprüft worden ist.“ Aber die Bürgernähe „muss ausgebaut werden“, hat Spitzer erkannt. „Statt eines förmlichen, schriftlichen Bescheides wünschen sich viele ein persönliches Gespräch.“

Auch der Eizelhandelskaufmann Andreas N. hat der Polizei den Fragebogen der Beschwerdestelle ausgefüllt zurückgeschickt. Es steht zu vermuten, dass die Antworten wenig schmeichelhaft ausgefallen sind. Das Einzige, was N. sich von seiner Beschwerde erhofft hatte, war eine Stellungnahme, in der sich die Polizei „selbstkritisch“ mit ihrem Tun auseinander setzt. „Stattdessen ist mir durch die Anzeige, Anklage und das Urteil gezeigt worden, dass sich der Staatsapparat für unfehlbar hält“, sagt er. Dass das Verfahren Ende Oktober eingestellt worden ist, sei ihm bis heute nicht offiziell mitgeteilt worden. „Das“, so Andreas N., „habe ich aus der Presse erfahren.“

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