: Keine Grenze zwischen Natur und Kultur
Einer der drei Ausstellungsmacher, der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, lobt die gruppendynamische Wirkung seiner „Theatrum“-Ausstellung im Gropius-Bau und hofft auf eine Überwindung der Arroganz zwischen den Wissenschaften
taz: Professor Bredekamp, Sie mussten aus über 30 Millionen Objekten 1.100 Exponate auswählen. Welche Kriterien haben Sie angelegt?
Als Arbeitsthese hatten wir zunächst: „die 100 besten Objekte jeder Sammlung“ – eher eine Schnapsidee. Aber nach und nach haben sich in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern an den Instituten Schwerpunkte abgezeichnet. Das sind: Depotbestände vom Naturkundemuseum, die Wachsmodellsammlung der Charité – die ist wirklich umwerfend –, die „Monstra“-Sammlung Virchows und medizinische Geräte, vor allem von Helmholtz. Dazu kommen die Schätze der Kunstkammer des Stadtschlosses, deren naturwissenschaftliche Objekte, etwa Tierpräparate, 1810 auf die Humboldt-Universität übergingen: Die versuchen wir im Urzustand darzustellen. Und schließlich geben wir einen Überblick über neueste Forschungen.
Steht hinter dieser Ausstellung die Idee, Naturwissenschaften und Kunst wieder zusammenzubringen?
Das zu wollen wäre illusionär. Nein, der erste Grund für die Ausstellung ist die pure Lust am Sammeln, der Verschönerungstrieb. Der andere ist der Versuch, eine historische Gerechtigkeit walten zu lassen: Die Unversität wurde in den letzten Jahren von vielen Seiten nur verachtet. Wir wollen zeigen, was sie gewesen ist und was sie noch heute kann. Die Ausstellung ist ein Zeichen für die innere Kraft unserer Universität. Denn keine andere Institution hätte das in so kurzer Zeit – den Startschuss gab erst die Bewilligung von Lottomitteln im April – leisten können.
Wie kann eine Ausstellung die Stimmung in einer Universität prägen?
Es ist, etwas pathetisch formuliert, im Prozess der Ausstellungsgestaltung ein „corpus mysticum“ entstanden, bei dem das Ganze mehr ist als die Summe der Einzelteile. Diese gruppendynamische Wirkung war unabdingbar wichtig. Wir hoffen, dass unsere Identität, die durch das entsetzliche Sparen ab Mitte der 90er-Jahre so gelitten hat, auch durch diese Ausstellung wieder wachsen kann. Hinzu kommt: Berlin zeigt in dieser Ausstellung, was die Wissenschaft in der Stadt zu leisten im Stande ist – deshalb auch die Kooperation mit der Freien Universität.
Die umfassende Sicht der Ausstellung liegt im Trend: Allerorten schimpft man auf das Fachidiotentum und fordert eine Rückkehr zur Zusammenarbeit der Wissenschaften.
Wir missachten nicht die Kraft der Spezialisierung. Denn die bedeutendsten Köpfe erkennen in der höchsten Spezialisierung, wie sich die Wissenssphären dann doch wieder verbrüdern. Wir sind also nicht gegen die Spezialisierung der Wissenschaften, wollen aber die Konvergenzen zwischen ihnen sowie zwischen Kunst und Kultur darstellen. Die medizinischen Wachsmoulagen sind schön, auch wenn sie nicht Kants Definition des „interessenlosen Wohlgefallens“ genügen: Sie haben eben eine Funktion. Es ist aber nicht einzusehen, warum sie nur als Objekte der Naturwissenschaften betrachtet werden sollen.
Kultur und Naturwissenschaften verlieren in der Schau ihre Gegensätzlichkeit?
Die Grenze von Kultur und Natur ist ja überall nicht mehr definiert: Die Natur wird immer artifizieller, die technische Kultur tritt uns wie Natur entgegen - die Grenze schwimmt. Man muss beide Sphären nicht vermischen, aber wir wollen das Zueinander dieser Gegensätze zeigen. Zwar ist ihre Unterscheidung ein unverzichtbares Analysemittel. Aber Vereinzelung führt zu den Effekten von Einzelhaft und zum Wahn – wie wir in Teilen der Biotechnik sehen. Wir führen also einen Zwei-Fronten-Kampf: gegen die romantischen Vermenger wie gegen die hemmungslosen Spezialisierer. Und gegen die Arroganz auf beiden Seiten, sowohl die der Kultur- wie die der Naturwissenschaften.
INTERVIEW: PHILIPP GESSLER
Horst Bredekamp (53) ist Professor am Kunstgeschichtlichen Seminar der Humboldt-Universität und Leiter der Ausstellung. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Museologie.
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