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Der Wettlauf um die toten Dinosaurier

In Patagonien streiten sich zwei Forscher um die Schuhgröße der Dinosaurier: 700 oder 701 – mindestens. Die Touristen lockt man in die wirtschaftlich gebeutelte Provinz Neuquen mit Dino-Matratzen, Dino-Beats, Dino-Menüs, Miniaturdinos und den sterblichen Überresten der vorzeitlichen Dinosaurier

von INGO MALCHER

Es ist Mittagszeit. In dem 500-Seelen-Nest El Chocón sind die Straßen wie leergefegt. Kein Mensch zu sehen weit und breit. Ein Geisterdorf. Klein, sauber, lieblich, aber leer. Hinter den Fenstern der Häuser hängen kitischige Gardinen. Die Sonne kommt raus, trotzdem bleibt es schneidend kalt. Dann ein Schild: „Dinosauriermuseum“, ein Pfeil befiehlt, links abzubiegen. Das Museum ist ein modernes Haus, aber leider geschlossen. Mittagszeit.

Kurz vor zwei kommt Ruben Carolini mit einem abenteuerlichen Gefährt vorgefahren. Es hat vier Räder, keine Karosserie, nur ein Chassie mit mehreren Überrollbügeln. Der Motor wirkt provisorisch draufgesetzt. Mit dem Mann darauf, seinen grauen Haaren und dem blau-grauen Anorak ein surrealistisches Bild: Ruben Carolini, Erfinder und Dinosaurier-Forscher. Noch hält er den Rekord. Er hat die versteinerten Reste des größten Dinosauriers der Welt gefunden. Das Prachtstück trägt sogar seinen Namen: Gigantosaurus Carolini. Die Füße des Monsters sind wenige Zentimeter länger als die des bisherigen Statthalters Dinosaurus Rex aus Jurassic Park, der 1900 ausgegraben wurde. 97 Millionen Jahre ist er alt, der Gigantosaurus Carolini.

Ein riesiges Dinosaurier-Skelett steht in der Eingangshalle des Museums. Eine Kopie des Originals. Daneben liegen hinter einer Absperrung die Stein gewordenen Originalknochen des Gigantosaurus Carolini. Der Stolz des Museums. Carolini ist sein Direktor. In den verbliebenen zwei Räumen sammelt er einzelne Knochen, auf Bildern wird erklärt, warum sich die Dinosaurier vor 200 Millionen Jahren ausgerechnet hier trafen. Was heute Patagonien ist, war früher warm. Ein ideales Klima für die vorzeitlichen Monster. Die Anden gab es damals noch nicht. Jetzt zieht’s und ist kalt, der Kaffeeautomat lockt – der einzige Luxus im Museum. Der Rest ähnelt einem Expeditionscamp: Zelte, Schaufeln, Gaskocher.

In der Werkstatt legt ein Junge mit Pinzette und Nadel einen Knochen frei. Das Museum ist das Basislager für Carolinis Expeditionen in der Region. Er hat es eingerichtet mit Hilfe der Stadt, als er durch seinen Fund berühmt wurde. Eigentlich ist Carolini kein Wissenschaftler. Nie war er in einer Universität eingeschrieben, nie hat er die Sekundarstufe abgeschlossen. Früher war er Mechaniker. Dann wurde er Erfinder. Er bastelte und tüftelte an allem Möglichen. Heute ist er Dinosaurier-Forscher. Und die Dinosaurier sind für ihn zu einer Obsession geworden. Gnade dem, der einen größeren findet als er. 160 Dinosaurier-Stücke hat er schon ausgegraben, alles einzelne versteinerte Knochen.

Carolini wurde Dinosaurier-Forscher durch Zufall. Als er eines Tages in seiner Provinz Neuquen spazieren ging, fand er einen versteinerten Knochen. „Danach fing ich an mich zu erkundigen und zu lesen und fand heraus, dass ich in einem Ort lebe, wo es viele versteinerte Dinosaurier gibt“, sagt er. Die Leidenschaft machte ihn zum Experten. „Die Natur hat mir viel von dem beigebracht, was ich wissen muss.“ Sein Fund des größten Dinosauriers der Welt war nicht geplant. Erst nach einer langen Untersuchung wurde Carolini klar, dass er einen Rekord gebrochen hatte: „Das kam fast etwas früh. Ich hatte erst drei Jahre zuvor damit angefangen, mich den Dinosauriern zu widmen. Es war ein seltsames Gefühl. Seit vielen Millionen Jahren liegen diese Knochen hier und ausgerechnet ich wurde auserwählt, sie zu finden.“

Mit seinem Dinomobil geht es quer über Geröllpisten direkt ins Gelände. Felsbrocken übersäen die Landschaft, bis man bei einem See ankommt. Auf den Felsplatten davor deutet Carolini auf Fußabdrücke von Dinosauriern, die er und seine Leute freigelegt haben. Mindestens Schuhgröße 700 muss das Biest gehabt haben. Carolini rätselt: „Wir fragen uns, ob es ein Tier war, oder ob es mehrere waren.“ Aufgrund der Erderwärmung hätten sich die Spuren hier so exzellent konserviert. Die Stadtverwaltung hat einen Damm aus Steinen bauen lassen, damit der See nicht über die Ufer tritt und die Spuren wegwischt.

Weiter geht es mit dem Dinomobil mitten durch die steinerne Wildnis. Carolini fährt querfeldein so zielsicher, wie andere mit schlafwandlerischer Sicherheit ihr Auto zur Arbeit dirigieren. Carolini hält vor einem gigantischen Canyon. Bestimmt hundert Meter geht es in die Tiefe runter, entlang an verschiedenen Gesteinsschichten. Unten kämpft sich ein Fluss durch die Felsen. Alles wirkt so fremd, als seien die Dinosaurier nie gegangen, als würden sie jeden Moment durch den Canyon marschieren.

Carolini hat sein Camp hier. Es ist Winter und daher übernachtet er nicht mehr draußen. Viel zu kalt. Unförmige, irgendwie runde Gipskugeln liegen zwischen den Felsen, fast genauso groß. Stößt Carolini beim Graben auf einen Knochen, hackt er das ganze Stück gefrorener Erde raus und packt es in eine Gipsblase, die dann in die Werkstatt des Museums geschleppt wird. Erst dort beginnt die Feinarbeit mit Pinsel und Pinzette.

Im Vergleich zu El Chocón ist Plaza Hincul schon fast eine Stadt. Es gibt eine Hauptstraße und ein richtiges Rathaus, eine Plaza und ein paar Cafés. Und es gibt das orange gestrichene Dino-Museum. Hausherr dort: Rodolfo Coria. Ein Wissenschaftler, der im vergangenen Jahr von CNN und Time zu einem der „Führer für das kommende Jahrtausend“ ernannt wurde. Auch er ein Dinosaurierforscher. Coria will Carolinis Rekord gebrochen und einen Dinosaurier gefunden haben, dessen Fuß einen Zentimeter größer ist. Die Untersuchungsergebnisse stehen noch aus.

In seinem letzten Fund lagen mehrere Skelette zusammen. „Bislang war man davon ausgegangen, dass Dinosaurier Einzelgänger waren, es könnte aber bedeuten, dass sie Herdentiere waren“, sagt er und zupft den dicken Schnurrbart zurecht: „Könnte, wäre möglich, muss nicht.“ In Patagonien seien die Dinosaurier so einfach zu finden, weil sich vor 200 Millionen Jahren die Erdschichten langsam begannen übereinander zu legen. „Das führt zu einer langsamen Fossilisierung, und das hat dafür gesorgt, dass die Knochen hier so gut konserviert sind“, sagt Coria.

Der groß gewachsene Wissenschaftler mit den väterlichen Augen ist das Aushängeschild des Ortes. Und alle sind auf Dinosaurier eingestellt. Die Tankstelle wirbt mit kleinen Dinos, ein Matratzengeschäft verkauft Dino-Matratzen und der kleine Radiosender schickt Dino-Beats in die Wildnis. Die wirtschaftlich stark gebeutelte Provinz Neuquen hofft damit Touristen anzulocken, und so wird alles zu Dinosauriern – bis hin zum Dino-Menü im Restaurant.

Nahe bei El Chocón soll gar ein Themenpark entstehen. Der erste Gips-Dino steht schon. Dabei ist es bislang geblieben. 20.000 Dollar soll er gekostet haben, ärgert sich Carolini. Er hätte ihn mit einem Viertel des Geldes schöner machen können.

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