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Sehnsucht nach starkem Staat

Die Partei Groß-Rumänien ist die stärkste neofaschistische Gruppierung in Europa. Bei den Stichwahlen am Sonntag werden nicht nur Wendeverlierer für sie stimmen

Die demokratischen Intellektuellen und Parteien reagierten nur halbherzig auf die Bedrohung

Der Erfolg der neofaschistischen Partei Groß-Rumänien (PRM) hat in Europa für Aufsehen gesorgt. Niemand wollte so recht daran glauben, dass ein rechtsradikaler Rattenfänger und ultranationalistischer Demagoge wie PRM-Spitzenkandidat Corneliu Vadim Tudor fast 30 Prozent der Wählerstimmen erhalten könnte. Westeuropäische Kommentatoren versuchten, den Schock zu dämpfen, indem sie von den wirtschaftlichen Problemen sprachen, von Korruption und schleichender Verelendung.

Unter den rumänischen Demokraten herrscht derweil verstörte Ratlosigkeit – und unter den Nationalisten angriffslustige Schadenfreude. Denn für Tudor und seine antisemitische Partei haben nicht die Leidtragenden und Verlierer der Wende von 1989 gestimmt, sondern viele junge Menschen zwischen 18 und 30 sowie ein Teil der in wirtschaftlich höher entwickelten Regionen ansässigen Stammwählerschaft jener konservativ-demokratischen Parteienallianz, die 1996 unter dem Namen „Demokratischer Konvent“ an die Macht gekommen war.

Damals war von einer Abwahl des neokommunistischen Regimes von Präsident Ion Iliescu die Rede – und von einer zweiten, hoffnungsvolleren Wende. Doch die Freude über den demokratischen Machtwechsel hielt nicht lange. Schon in kürzester Zeit erwiesen sich die vollmundigen Wahlversprechungen als falsch, die Korruption und die landesübliche Vetternwirtschaft blühten weiter, die alten Seilschaften funktionierten wie eh und je. Von dem viel beschworenen Licht am Ende des Tunnels, das den Rumänen den Weg in die EU weisen sollte, war nicht mal mehr ein Funke zu sehen.

Die 20 Prozent für die neofaschistische PRM und 28,34 Prozent für deren Spitzenkandidat Tudor kamen also nicht unerwartet. Sie sind auch das Ergebnis des Versagens der politischen Elite, der zivilen Gesellschaft und eines Großteils der Intellektuellen Rumäniens. Die bedrohlichen Symptome eines voraussehbaren Rechtsrucks wurden verharmlost oder totgeschwiegen, der Flirt mit rechtsradikalem Gedankengut ging weiter, so dass sich so etwas wie ein parteiübergreifender Nationalismus entwickeln konnte.

In Berichten über die PRM wird Tudor mit dem Ausspruch zitiert, Rumänien sei nur mit dem Maschinengewehr zu regieren. Der Satz fiel bereits vor zwei Jahren anlässlich einer Volksversammlung, auf der Tudor einen Maßnahmenkatalog gegen die „kriminellen und asozialen Zigeuner“ bekannt machte. Er forderte die Einrichtung von Arbeitslagern und die Wiedereinführung der Todesstrafe. Doch gegen die rassistischen Ausführungen Tudors protestierten nur die Roma-Verbände. Seine Plädoyers für die Einführung einer auf mindestens zwei Jahre begrenzten Diktatur, um „mit eiserner Faust“ wieder „Ordnung und Disziplin“ herzustellen und das Land „radikal zu säubern“, wurden als hysterische Aussagen eines Wirrkopfs heruntergespielt.

Ebenso verpufften auch die Warnungen vereinzelter Intellektueller, die anhand eindeutiger Indizien den sich abzeichnenden Rechtstrend voraussagten. In den Umfragen der letzten Jahre zeichneten sich die autoritären Neigungen breiter Schichten der Bevölkerung immer deutlicher ab. Etwa 80 Prozent der Befragten äußerten regelmäßig ihre Abneigung gegenüber der parlamentarischen Demokratie, dem Mehrparteiensystem und dem Rechtsstaat. Als einzige vertrauenswürdige Institutionen bezeichneten sie die Armee und die orthodoxe Kirche. Auf der Akzeptanzskala rangierten Justiz, Regierung und Parlament ganz unten. Die zunehmenden materiellen Probleme verstärkten nur noch mehr eine gefährliche Nostalgie und die Sehnsucht nach dem „starken Staat“ eines Ceausescu oder Antonescu. Der 1989 nach einem fragwürdigen Prozess hingerichtete kommunistische Diktator Nicolae Ceaușescu und der wegen Kriegsverbrechen 1946 zum Tode verurteilte frühere Hitler-Verbündete und Verantwortliche an der Vernichtung von mehr als 400.000 rumänischen Juden, Ion Antonescu, erlangten langsam im öffentlichen Bewusstsein den Stellenwert nationaler Helden. Die hässlichen Falten aus den Gesichtern der verabscheuungswürdigen Diktatoren wurden durch die nachhaltige revisionistische Propaganda von autoritären Gruppierungen wie Tudors PRM ausgebügelt.

Die demokratischen Intellektuellen und Parteien reagierten nur halbherzig auf die unselige Ausbreitung jener explosiven ideologischen Mischung aus dem nationalkommunistischen Ceausescu-Erbe und dem faschistischen Arsenal Antonescus. Statt diesen demokratiegefährdenden Entwicklungen entschieden entgegenzutreten, unterstützten auch demokratische Politiker und Intellektuelle die Rehabilitierung zweifelhafter historischer Persönlichkeiten, die zu antikommunistischen Vorkämpfern heroisiert wurden. Und auch an der postumen Ehrung Antonescus im Parlament 1991 und 1999 beteiligten sich Vertreter fast aller Parteien.

In der Lesart der auf dem rechten Auge blinden demokratischen Elite war die PRM derweil höchstens eine einflusslose extremistische Gruppierung. Die einzige Antwort auf den bedrohlichen Aufstieg Tudors waren ungeschickte, populistische Vorschläge. Um die ausufernde Kriminalität zu bekämpfen, versprach die im „Demokratischen Konvent 2000“ vertretene „Union der Rechtskräfte“ (UFD), ebenfalls die Todesstrafe einzuführen. Die zivile Gesellschaft schwieg, statt diese Forderung empört zurückzuweisen.

Seit 1989 hat sich in Rumänien ein parteienübergreifenderNationalismus entwickelt

Antisemitische, rassistische und minderheitenfeindliche Äußerungen wurden nicht nur von den großrumänischen Zeitungen verbreitet, sondern auch von „demokratischen“ Publikationen. Durch ihr fahrlässiges Schweigen verwandelten sich die Intellektuellen, die als Sachwalter der zivilen Gesellschaft aufgetreten waren, in Munitionslieferanten für Tudors Maschinengewehr. Durch ihren zweideutigen Umgang mit dem aufkeimenden Rechtsextremismus haben auch sie Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus wieder salonfähig gemacht.

Von dieser zweifelhaften Haltung profitierte Tudor. Im Unterschied zu den anderen in Rumänien existierenden, zerstrittenen Rechtsparteien gelang es seiner PRM, die latenten rechtsextremen Vorstellungen zu bündeln und politisch auszuschlachten. Nach den Parlamentswahlen ist die Partei zur einflussreichsten rechtsextremen Gruppierung in Europa geworden. Das Debakel ist nun so gewaltig, dass die „zivile Gesellschaft“ in einem verzweifelten Appell die Wählerschaft auffordert, bei der für kommenden Sonntag angesetzten Stichwahl, bei der Tudor gegen den Postkommunisten Iliescu antritt, „gegen den Extremismus“ zu stimmen. Wohlgemerkt: nicht gegen den Rechtsextremismus, sondern gegen den Extremismus! WILLIAM TOTOK

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