: „Messer im Rücken“
Europaparlamentarier Christian von Boetticher will sich über die geplante elektronische Briefmarke beschweren
taz: Die Post will ein neues System zur Frankierung mit dem PC einführen. Ist das nicht ein Fortschritt für den Verbraucher?
von Boetticher: Auf den ersten Blick ja. Aber Sie müssen bedenken, dass der Brief das einzig sichere Kommunikationsmittel ist, das wir noch haben. Da ist es schon eine Ungeheuerlichkeit, dass uns die Post jetzt auf diese Weise das Messer in den Rücken stößt.
Sie wollen eine Beschwerde bei der EU- Kommission einreichen. Warum?
Weil das Vorhaben der Post massiv gegen bindendes europäisches Recht verstößt.
Zum Beispiel?
Die Europäische Datenschutzrichtlinie 46 setzt strenge Maßstäbe an die Verarbeitung von Postdaten. So müsste die Datenverarbeitung zur Erfüllung des Beförderungsvertrages notwendig sein. Die Post will aber mit ihren Lesegeräten nicht die Briefbeförderung sicherstellen, sondern Fälschungen verhindern.
Das ist verständlich.
Sicherlich. Und die EG-Richtlinie lässt im Falle eines „berechtigten Interesses“ auch eine Datenverarbeitung zu. Dabei muss aber die Verhältnismäßigkeit gewahrt sein.
Was heißt das genau?
Es geht hier nicht um Fälle organisierter Schwerkriminalität, sondern um den Missbrauch von Postmarken. Und da ist die Verhältnismäßigkeit sicherlich nicht gewahrt.
Das klingt eher nach einem abstrakt juristischen Problem.
Ist es aber nicht, wenn wir uns zusätzlich Artikel 8 ansehen. Dort steht: Mitgliedstaaten müssen die Datenverarbeitung untersagen, wenn aus den Daten politische oder philosophische Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, ebenso Daten über die Gesundheit. Ich kann aber gerade an den Adressen meiner Postsendungen zum Beispiel erkennen, welche Ärzte ich benötige oder ob ich Gewerkschaften schreibe.
EU- Kommission, in Folgevielleicht der EU- Gerichtshof – sind das nicht etwas übertrieben schwere Geschütze ?
Nein. Es geht hier um viel. Es geht um das Recht des Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung. Und darum werden wir kämpfen. INTERVIEW:MARKUS L. BLÖMEKE
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