Nachgeguckt
: Tenever-Power

■ Kinderarmut: ein Projekt am Schulzentrum Walliser Straße

Wer in Tenever lebt, hat die Arschkarte gezogen. Zumindest nach Statistiken von Reichtum, Platz pro Nase, Wohlbefinden. Dass aber Tenevers Kinder morgen die Alten von Schwachhausen ernähren werden, das ist niemandem klar.

Niemandem? Nicht ganz, SchülerInnen vom Schulzentrum Walliser Straße haben genau das herausgefunden: effektvolles Randergebnis einer breiten Untersuchung und Ausstellung zum Thema Kinderarmut.

Fast jeder zweite Mensch in Tenever unter 18 Jahren lebt von der Sozialhilfe – so viele wie nirgendwo sonst in Bremen. Sozialhilfeempfänger? Dreck. „Die wollen doch gar nicht arbeiten“, sei ein häufiges Vorurteil seiner SchülerInnen gewesen, berichtet Lehrer Wolfram Stein, der das Projekt in den Wirtschaftskursen der 11. Jahrgangsstufe angestoßen hat.

Jetzt, da sie nach offiziellen Statistiken Diagramme erstellt und gesehen haben, dass nur acht Prozent aller SozialhilfeempfängerInnen offenbar arbeiten könnten und es nicht tun, hat sich diese Haltung zwar nicht grundsätzlich geändert. „Aber sie waren erstmal baff“, berichtet Stein. Baff angesichts der Tatsache, dass die meisten Menschen, die von Sozialhilfe leben, Kinder, Rentner, allein Erziehende und Schwerbehinderte sind. Damit die Kids die ganzen Zahlen nicht zu abstrakt fanden, sollten sie bei sich anfangen: Die Aufgabe war, sämtliche 580 SchülerInnen nach ihren Kinderwünschen zu befragen. Heraus kam: Die Jungs wollen später durschnittlich zwei Kinder, die Mädchen 1,7. Dass die Mädels weniger Kinder wollen, habe ihn schon erschreckt, gesteht Harry, 17, der bei der Umfrage dabei war. „Die wissen halt nicht, wie's ist“, sagt Milena, 16, in Richtung Jungs. Sie und ein paar Mitschülerinnen haben herausgefunden, wie es allein Erziehenden geht. Der Lerneffekt: „Bloß nicht allein erziehend werden“, sagt Monika, 17. Und sonst? „Ich bin bisher noch nicht auf die Idee gekommen, dass wir Ausländer gebraucht werden, nämlich für die Rente“, so Afroamerikaner Harry.

Derzeit haben Frauen in Tenever 2,3 Kinder, in Schwachhausen eines. „In Tenever werden so viele Kinder produziert, dass die Gesellschaft nicht schrumpft“, erklärt Stein amtliche Hochrechnungen. Also: „Tenevers Kinder ernähren morgen Schwachhausens Rentner.“

Dass die Teneveraner dafür aber wenig kriegen, haben die SchülerInnen auch aufgemalt: Von Steuervorteilen Kinderloser bis hin zu den körperlichen und seelischen Folgen von Armut klärt dicht beschriebenes Papier an den Stellwänden auf.

Noch etwas ist dort in Grafik ausgedrückt: Bei Klassenfahrten würde viel mehr SchülerInnen Unterstützung vom Sozialamt zustehen als sie jetzt in Anspruch nehmen. Aus Angst zur Last zu fallen, weiß Lehrer Stein, aber auch, weil nicht alle wissen, dass sie ein Recht auf amtliche Unterstützung haben. Auch eine Art von Ausgrenzung. sgi

Am 20.12. diskutieren SchülerInnen mit Bürgermeister Henning Scherf (SPD) und den SozialpolitikerInnen Karoline Linnert (Grüne) und Karl Uwe Oppermann (CDU): 11.40 Uhr im Schulzentrum Walliser Straße.