: Fit for Fashism
„Herrlich ist es, Burschen, zu leben!“ Das große Lied zum langen Abschied: Im Berliner Ensemble wurde jetzt Elfriede Jelineks Haider-Monolog „Das Lebewohl“ von Ulrike Ottinger uraufgeführt
von VOLKER WEIDERMANN
Wer schwebt da herab auf die dunkle, leere Bühne des Berliner Ensembles und leuchtet grün und weiß? Ein Schmetterling? Ein Drachenflieger? Ein Rechtspopulist? Er wird größer und größer, schwebt auf uns zu. Kaum erkennen wir ihn noch. Da hebt sich die Leinwand, und dahinter sehen wir ihn schemenhaft, inzwischen schon ganz klein, entschwinden. Doch er wird wiederkommen. Wenn er der ist, für den wir ihn halten, der sich da mit leichtem Flügelschlag flatternd davonmachte. Auch wenn er jetzt weit weg in Kärnten ist. Auch wenn ihm Elfriede Jelinek gemeinsam mit der Regisseurin Ulrike Ottinger an diesem Abend ein wunderbares, traumgewisses, böses und entschlossenes „Lebewohl“ für jetzt und immer nachgerufen hat.
Er bleibt. Er kommt. Er ist ja immer da. An diesem Abend kehrt er sogar zu dreizehnt zurück. 13 Jörg Haiders sprechen, tanzen, singen, springen und proklamieren Elfriede Jelineks Haider-Monolog, den sie dem Ex-FPÖ-Chef vor einem guten halben Jahr aus Anlass seines Rückzugs nach Kärnten hinterhergeschrieben hat. Ein Text, komponiert aus der „Orestie“ von Aischylos und Jörg Haiders eigenem Abschiedsprotokoll, das er im März in der Zeitschrift news veröffentlicht hat. Eine große Rede zum endlos langen Abschied im hohen Ton, mit hohlem Innenleben, pathetisch, kraftvoll, leer. Von Elfriede Jelinek herrlich ungerecht verfälscht, pointiert und umgedichtet.
Schade, dass Österreich diese Aufführung vorenthalten bleiben wird. Denn Jelineks Bannfluch, mit dem sie Österreichs Bühnen nach der Regierungsbeteiligung der FPÖ belegt hatte, gilt nach wie vor. Nur einmal, im Juni, auf dem Wiener Ballhausplatz, hat Martin Wuttke den „Haider-Monolog“ sozusagen vor Ort verlesen. Oder nicht so sehr verlesen: „Hasserfüllt gewinselt“ habe er, hieß es damals in der taz.
Die 13 Jörg Haiders in Ottingers Inszenierung hassen eher hintergründig. Sie sind mehr mit sich selbst beschäftigt, sind ungeheuer zuversichtlich (scheinbar), sind sportlich, fit, gemeinschaftlich und blond bis zur Lächerlichkeit. Sie widersprechen sich in ihren großen Worten unaufhörlich und haben, wenn sie ehrlich sind, vor allem Angst: Angst vor Frauen, Angst vor Fremdem, Angst vor Einsamkeit. Und brüllen ihren Willen nach Gemeinschaft und nach der großen, allumfassenden Einheitlichkeit frisch und fromm heraus. „Wir sind da und bleiben, niemand muss mehr leiden! Wir sind ganz besonders für alle, die nicht leiden wollen. Nie wieder. Nie wieder Einsamkeit. Nie wieder fremd sein. Nie wieder eigentümlich sein. Sich nie wieder absondern. Wir sind gegen Viele.“ Und kurz darauf: „Die Vielen zählen nicht mehr, denn wir sind jetzt da. Wir sind alle.“
Und wir sind alle fit. Ulrike Ottinger hat die 13 Jörg Haiders zu einheitlichen Fitnesswahnjüngern gemacht, die zu Wasser, zu Lande und in der Luft ihrer Sportbesessenheit nachgehen und in großartig choreografierten Sportlerballetts ihre großen Phrasen deklamieren. Als Skifahrer, Bergsteiger, Taucher und Kanuten, als Skater in der Halfpipe auf dem Wiener Opernball. Im Gleichschritt marsch!, zur totalen körperlichen Tüchtigkeit! Gegen die eigene Weichlichkeit, gegen die Schwäche, gegen den Tod. „Wir leben, und so stark und so schön, herrlich ist es, Burschen, zu leben. Wir sind Gewinner, wir waren’s von Anfang an.“
Und warum dann der Abschied, Herr Haider? Der Abschied, der den ganzen Abend mit Abschiedsliedern aus allen Epochen herbeimusiziert wird? Und den wir herbeiwinken, winken und winken? Ach, es ist ja nur ein Witz. Ein Trick, „eine List für Apoll und für das Erste und Zweite Deutsche Fernsehen“. Haider bleibt. Und wenn er geht, dann nur, um später dann in Übermenschengröße, als Kanzler für alle und alle, triumphal zurückzukehren.
Ja. Zum Schluss noch den Radetzkymarsch, und es war Österreich ganz und gar an diesem Abend. Theater-Österreich, wie damals, als Claus Peymann mit Thomas Bernhard Triumph auf Triumph im Wiener Burgtheater feierte, und wie der Intendant Peymann sich das vielleicht auch gedacht hatte, als er mit großen Worten ins Theater am Schiffbauerdamm eingezogen war, um das große Hauptstadtpolittheater gleich neben dem Reichstag zu beginnen und dann aber durch kaum mehr als mumifizierte Bernhard-Reinszenierungen aufgefallen war. Elfriede Jelinek und Ulrike Ottinger haben ihm einen Weg gewiesen. Claus Peymann muss nur folgen.
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