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Umstrittene Amnestie

In der Türkei sollen die Hälfte der Gefangenen freikommen – aber nicht die politischen. Beim Hungerstreik ist eine Vermittlung von Intellektuellen vorerst gescheitert

ISTANBUL taz ■ Das türkische Parlament hat am späten Freitagabend das umstrittenste Amnestiegesetz der Republik beschlossen. Hintergrund ist, dass die Gefängnisse des Landes mit 72.000 Gefangenen hoffnungslos überfüllt sind. Mit eine Rolle spielen die Verlegungspläne in neue Anstalten, in denen so viele Gefangene nicht unterzubringen sind.

Das neue Gesetz ist keine klassische Amnestie, sondern ein Straferlass von zehn Jahren. Die Strafe wird auf Bewährung ausgesetzt. Profitieren werden davon fast die Hälfte der Gefangenen. Politische Häftlinge allerdings sind vom Gesetz ebenso ausgeschlossen wie tausende Gefangene, die wegen „staatsfeindlicher Tätigkeit“ einsitzen. Weiter sieht das Gesetz vor, dass die bisher gefällten 67 Todesurteile nicht mehr vollstreckt werden, auch das des PK-Chefs Abdullah Öcalan.

Vom Gesetz profitieren Persönlichkeiten wie der Islamistenführer Necmettin Erbakan, der nicht mehr ins Gefängnis muss, oder der Papstattentäter und Journalistenmörder M. Ali Agca. Auch die Bauherren der durch das verheerende Erdbeben im letzten Jahr eingestürzten maroden Wohnhäuser kommen frei. Schließlich werden rund 3.000 Kurden freigelassen, die nicht wegen PKK-Mitgliedschaft, sondern nur wegen Unterstützung verurteilt worden waren. Auch der Vorsitzende der kurdischen Hadep-Partei, Murat Bozlak, braucht seine Haftstrafe nicht mehr abzusitzen.

Die Öffentlichkeit ist mehrheitlich gegen das Gesetz. Fortschrittliche Juristen und Demokraten kritisieren, dass die politischen Gefangenen nicht begnadigt werden. Angehörige von Verbrechensopfern und Konservative machen Stimmung gegen das Gesetz, auch unbeteiligte Bürger sprechen sich gegen „Straferlass für Kriminelle“ aus.

Währenddessen geht der Hungerstreik von über 200 linken Gefangenen heute in seinen 52. Tag. Mehrere schweben schon in Lebensgefahr. Neben einer Generalamnestie fordern sie, dass der Staat die neuen Gefängnisse des Typs F völlig abschafft. Nach einem Vermittlungsversuch berühmter Intellektuellen wie Yasar Kemal hatte der türkische Justizminister H. Sami Türk am Samstagabend auf einer Pressekonferenz erklärt, die neuen Gefängnisse würden zunächst nicht eröffnet. Die Anstalten sehen nur Zellen bis zu drei Insassen vor. Die Hungerstreikenden wollen weiter in ihren Trakten mit bis zu 100 Menschen bleiben. Trotz der Ankündigung des Innenministers zeichnete sich zunächst kein Ende des „Todesfastens“ ab. DILEK ZAPTCIOGLU

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