: Tödliche Stiche im Advent
Ein Toter nach Streit zwischen rechten Jugendlichen und Vietnamesen auf dem Weihnachtsmarkt im sächsischen Bernsdorf. 15-jähriger Vietnamese ist geständig, PDS-Stadträtin vermutet Kurzschlusshandlung. Polizei befürchtet Racheakte
von NICK REIMERund LUKAS WALLRAFF
Für die Staatsanwaltschaft ist der Tathergang geklärt: Nach einem Streit auf dem Weihnachtsmarkt in der sächsischen Kleinstadt Bernsdorf hat ein 15-jähriger Vietnamese am Samstagabend zwei Skinheads niedergestochen, die zuvor an seinem Verkaufsstand herumgepöbelt und Waren umgeschmissen hatten. Der 21-jährige Matthias F. erlag noch am Samstag seinen schweren Verletzungen, sein 22-jähriger Freund ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft Bautzen inzwischen außer Lebensgefahr.
Gegen den tatverdächtigen Jugendlichen wurde Haftbefehl wegen Totschlags erlassen, er ist weitgehend geständig, bestreitet aber eine Tötungsabsicht. Als Motiv für seine Tat gab der 15-Jährige an, er sei von „drei Glatzen“ provoziert worden. Nach den bisherigen Ermittlungen kamen die deutschen Männer betrunken an den Stand der Vietnamesen. Dort sollen sie gerufen haben: „Wie kann sich ein Vietnamese so ein Auto leisten? Wir sind arbeitslos und können das nicht.“ Anschließend hätten sie den Stand demoliert.
Der junge Vietnamese sei daraufhin nach Hause gegangen, habe sich dort zwei Küchenmesser geholt und sei auf den Weihnachtsmarkt zurückgekehrt. Dort stach er zunächst einmal auf den 22-Jährigen ein. Daraufhin habe er den 21-Jährigen gesucht und „in der Nähe des Aldi-Markts“ gefunden. Angeblich ohne Vorwarnung stach er ihm mit einem der Messer in den Bauch und ließ ihn verletzt liegen. Den Ermittlungen zufolge brachte der 15-Jährige zunächst die Tatwaffen nach Hause und kehrte dann zu seinem Stand auf dem Weihnachtsmarkt zurück, wo er wenig später von der Polizei verhaftet wurde.
Unklar ist bisher, ob der Vietnamese schon vor dem Streit am Samstag Konflikte mit Leuten aus der rechten Szene hatte. „Das gilt es jetzt zu ermitteln“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, „denn das hätte für das Strafmaß erhebliche Folgen.“ Falls der Vietnamese „immer wieder gereizt“ worden sei, „würde sich das natürlich strafmildernd auswirken“.
Das Haus der Familie des Vietnamesen in Bernsdorf wird von der Polizei bewacht, weil „Racheakte nicht auszuschließen“ seien, wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft Bautzen gegenüber der taz erklärte. Die Familie lebe seit fünf Jahren in Deutschland, der 15-Jährige sei „bisher nicht in Erscheinung getreten“. Die zwei Deutschen sind beziehungsweise waren laut Staatsanwaltschaft „einschlägig“ als Rechte bekannt.
In Bernsdorf geht deshalb die Angst um, die 6.000-Einwohner-Stadt könnte zu einem „zweiten Sebnitz“ werden. Angelika Scholte-Reh, Pfarrerin der evangelischen Gemeinde, dementierte gestern eine Agenturmeldung, in der sie zitiert wurde, die Atmospäre in ihrer Stadt sei „von Gewalt und nicht Frieden bestimmt“. Davon könne keine Rede sein. Bisher habe es „keine besonderen Umtriebe“ gegeben. Jetzt gehe es darum, „nicht schnell die Schuld auf der einen oder anderen Seite zu suchen“.
PDS-Stadträtin Hannelore Zuschke berichtet: „Im Stadtrat haben wir nach Sebnitz gerade erst über Rechtsextreme in Bernsdorf gesprochen und erleichtert festgestellt, dass das hier nur eine Randerscheinung ist.“ Auf 10 bis 15 rechte Sympathisanten – darunter die drei Beteiligten vom Samstag – sei man gekommen, die „mal Sperenzchen machen, aber keine harten Burschen sind“. Allerdings habe der vietnamesische Täter in der Schule immer wieder unter ausländerfeindlichen Stänkereien zu leiden gehabt. Die Stadträtin vermutet einen Kurzschluss: „Jetzt hat er wahrscheinlich die Nase voll gehabt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen