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Schimmels Schönheit, Grunewalds Krach

■ In der Städtischen Galerie in Delmenhorst fördert die Berliner Licht- und Klangkünstlerin Christina Kubisch mit Schwarzlicht und Induktionsverfahren bislang unbekannte Wahrheiten zutage – zum Beispiel über die Stasi

Richtig helles – manche sagen: – weißes Licht ist gnadenlos. Im Spiegelbild sprießen plötzlich ungezählte Pickel, Knubbel und baumdicke Haare. Schwarzlicht hat da ganz andere Effekte. Eine schimmlige, durch Löcher im Putz vernarbte Wand entpuppt sich auf einmal als Landschaft mit fantastischen Wolkenbildungen und Felsformationen, wenn man sie unter diesem Niedrigfrequenz-UV-Licht fotografiert. Die Berliner Künstlerin Christina Kubisch hat das getan. Sie hat nämlich ein Faible für die Wirklichkeiten hinter der Wirklichkeit. Dafür greift sie nicht nur zum Fotoapparat, sondern auch zu allen möglichen anderen Werkzeugen und fördert dabei Erstaunliches zutage.

Die Städtische Galerie Delmenhorst hat der 1948 in Berlin geborenen Kubisch jetzt mit der alten Villa „Haus Coburg“ ganz viel Platz gegeben. Eine retrospektivische Ausstellung mit drei eigens für Delmenhorst geschaffenen Beiträgen kam dabei heraus. Dafür hat sich die Kubisch gründlich umgesehen.

Im alten Herrenzimmer stehen Sprüche an der Decke: Mit den Motti „Bildung macht frei“, „Erst wägen, dann wagen“, „Über alles, die Pflicht“ und „Wissen ist Macht“ stimmten sich die ehemaligen BewohnerInnen auf ihren Alltag ein. Viele nachfolgende NutzerInnen der Villa haben diese Sprichworte übersehen, doch Christina Kubisch sind sie nicht entgangen. So flüstert jetzt eine Computerstimme den BesucherInnen Neukombinationen wie „Über alles, ist Macht“ oder „Erst wägen, macht frei“ ins Ohr.

Weniger züchtig geht es in den beiden oberen Etagen der Städtischen Galerie zu. Neben den Fotos der Schimmelwände, Skizzen und mit fluoreszierendem Staub versehenen Schleifscheiben sind gleich mehrere Installationen zu sehen, und unter diesen sorgt eine im so genannten Wintergarten für ein ganz beeindruckendes Ausstellungserlebnis. Von den Decken hängen bloß Kabel. Doch mit einem Kopfhörer an den Ohren verwandelt sich der Raum in einen Dschungel aus lauter Geräuschen zwischen Wolfsgeheul und Papageiengezeter.

Das Induktionsverfahren machts möglich. Im Klartext: Man hört Strom. Christina Kubisch, die seit zwei Jahrzehnten Klangkunst macht und damit hierzulande als eine der Pionierinnen dieses Genres gilt, hat dieses Verfahren zwar nicht selbst erfunden, aber immerhin für den künstlerischen Gebrauch weiterentwickelt. Wenn man, sagt sie, mit solch einem Kopfhörer durch den Grunewald läuft, wird es an vermeintlich idyllischen Stellen plötzlich laut. Nein, Telefonleitungen könne sie damit nicht abhören. Das heißt: Einmal, am Alexanderplatz, hat sie doch was verstanden. Alte Stasi-Technik. Leider inzwischen abgeschafft. Wenn Sie wollen, können Sie ja mal mit dem Kopfhörer draußen ums Haus gehen. Als Klangkünstlerin wie Christina Kubisch führt man ein Nomadenleben.

Gerade kommt sie von einem Stipendium aus den USA zurück, wo sich ein beschaulicher Ort als Einflugschneise entpuppte, was ihr demnächst eine Installation wert sein wird. Bald geht sie nach Unna, wo im Februar ein Lichtmuseum eröffnet wird und die Kubisch die Eröffnungs-Ausstellung bestreitet. Eigentlich hat sie schon die ganze Welt gesehen. Aber was ist schon die Welt gegen eine schimmlige Wand. Bei Licht betrachtet. ck

KlangRaumLichtZeit von Christina Kubisch bis zum 28. Januar 2001 in der Städtischen Galerie Delmenhorst, Fischstraße 30 (Öffnungszeiten: Di-So 10-17 Uhr, Do 10-20 Uhr). Katalog mit CD: 48 Mark

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