Psychologisch aufrüsten

■ Gewerkschaft der Polizei diskutiert über die Novelle zum Polizeigesetz / Im Zentrum: der Todesschuss / Polizei will Verantwortung neu regeln

Wie rot-grüne Innenpolitik aussehen könnte, das zeigte am Dienstagabend die Debatte um das neue Bremer Polizeigesetz, zu dem die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ins Mariott-Hotel geladen hatte: Keine verdachtsunabhängigen Kontrollen, kein gefährliche-Menschen-erschießen-auf-Befehl – wohl aber ein Wegweisungsrecht, das Ehefrauen vor schlagenden Partnern in der Wohnung schützen soll.

Nur mit der Video-Überwachung halten es der Grüne Matthias Güldner und der Sozialdemokrat Hermann Kleen unterschiedlich. Ein SPD-Kompromiss-Modell, wonach an ausgewählten Stellen befristet aufgezeichnet und gelöscht werden soll, hält Güldner für verzichtbar. „Ich bin keiner, der glaubt, die Video-Überwachung ist der Beginn des Polizeistaats“, sagte er. Aber Video-Überwachung würde nur Sicherheit vorgaukeln, wo keine sei. Zahlen aus dem Video-erprobten London belegten dies. „Wir sind für echte Polizisten aus Fleisch und Blut“, so der Grüne Innenpolitiker.

Die leibhaftig anwesenden rund 40 Polizeibeamten allerdings nahmen ihm das nicht so ganz ab – und auch SPD-Mann Kleen musste Schelte über „rosarote-Brillen-Blauäugigkeit“ einstecken. Grund war seine Ablehnung gegen den im jüngsten Gesetzentwurf der Innenbehörde enthaltenen „finalen Rettungsschuss“, wonach „die Abgabe eines mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirkenden Schusses“ zugelassen werden soll, wenn dieser das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen (Lebens–)Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit sei.

Noch gehört dieser Schuss zwar zu dem zwischen den Ressorts Justiz und Inneres strittigen Bündel, das erneut abgestimmt werden soll. Allerdings machen Bremens Polizisten, allen voran die Gewerkschaft GdP, keinen Hehl daraus, dass sie ein Gesetz wollen, das die Verantwortlichkeiten klar regelt – auch darüber, wer den Schießbefehl gibt. „Die Politik soll sagen, dass wir das dürfen – oder dass nicht“, so auch GdP-Chef Dieter Oehlschläger.

Die Gemüter kochten über diesem Thema, kaum dass Innensenator Schulte (CDU) und CDU-Innenpolitiker und Polizist Rolf Herderhorst Zeit blieb, ihre Positionen zu geplanten Gesetzesverschärfungen darzulegen: „Wir brauchen die verdachtsunabhängige Kontrolle, die anderen Länder haben das auch“, „was ist an Video so schlimm?“ und „Beamte müssen mit einer klaren Regelung für den möglicherweise tödlichen Schuss-waffeneinsatz gegen Personen abgesichert werden.“

Aber was heißt Schusswaffeneinsatz gegen Personen? „Das ist eine beschönigende Gesetzesformulierung, die man wie viele andere neu fassen sollte, machte der GdP-Rechtsexperte Horst Röhl – einer von sechs Schlippsen und sieben Jackets auf dem Podium –, gleich einen Vorschlag: „Es geht darum, einen tödlichen Schuss auf einen Menschen abzugeben.“ Dafür sei eine klare rechtliche Regelung im Bremer Polizeigesetz überfällig, forderte der eben pensionierte Polizeiausbilder, der sich noch daran erinnert, dass dies bei der letzten Reform Anfang der 80er Jahre wegen des anhaltenden Baader-Meinhof-Traumas nicht diskutabel war. Die strafrechtlichen Bestimmungen über die Nothilfe seien nicht ausreichen.

Dieses Recht, das Menschen erlaube, für andere in Notwehr einzuspringen und dafür tödliche Konsequenzen zu riskieren, „kann nicht die Grundlage rechtmäßiger Amtshandlung sein“, sagt er. „Es geht um die Situation, dass ein Polizeibeamter einen Bürger – oder sich oder einen Kollegen – aus einer lebensbedrohlichen Situation retten soll und weiß, er wird von der Gesellschaft im Stich gelassen“, sagt Röhl. Während CDU-Mann Herderhorst klar machte: „Wir stellen Opferschutz in der Tat vor Täterschutz.“

„Das widerspricht der Verfassung“, hielt SPD-Mann Kleen dem Vertreter des Koalitionspartners aufgebracht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht habe – anlässlich der Abtreibungsdebatte – bekräftigt, dass jedes Leben geschützt werden müsse. Auf Klagen anwesender Polizisten, dass sie im Fall eines solchen Schusses – „den doch niemand abgeben will, das darf man nicht unterstellen“ – sofort Beschuldigte in einem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren würden, entgegnete Kleen: „Ist es zuviel verlangt, in einem geordneten Verfahren zu prüfen, dass das Handeln rechtmäßiges Polizeihandeln war?“ Eine Einschränkung des Rechts auf Leben sei aus seiner Sicht nicht vertretbar.

Unterstützung erhielt Kleen aus dem juristisch versierten Publikum. „Keiner von uns meint, dass ein Polizist nicht die Waffe benutzen soll“, zog Renate Jäger, Vorstandsmitglied der sozialdemokratischen JuristInnen, eine Linie. Aber wenn ein Grundrecht zur Disposition stehe, müsse der Einzelne eine Überprüfung seines Handelns in Kauf nehmen. „Der Richter muss das nachvollziehen können. Ich sehe nicht, wo da das Problem ist“, löste sie böses Stirnrunzeln unter den anwesenden Polizeibeamten aus – während der Grüne Güldner begrüßte, dass die Debatte um die Gesetzesnovelle „sich hier löst von den vordergründigen parteipolitischen Anliegen“ von Profilierung und wichtige ethische und moralische Fragen aufwerfe, denen sich die Polizei in der Praxis schon lange gestellt habe: „Dort wurde mit Psychologen und Kommunikation aufgerüstet, um eben nicht schießen zu müssen.“ Das sei modern.

ede