piwik no script img

In welcher Wurst ist Erika?

Die Umsätze der Bio-Fleischer sind im Zuge des BSE-Skandals um bis zu 30 Prozent gestiegen. Doch nicht überall, wo „Öko“ draufsteht, ist auch tatsächlich Sicherheit drin – die garantiert ausschließlich der Einzelnachweis bei Fleischprodukten

Wenn der Ochse direkt Fleisch fressen würde, würde er verrückt werden

von HOLGER KLEMM

Luther schrieb sinngemäß: Ein Narr, wer sich nicht durch den Schaden anderer zu bessern weiß. Die Preußen als gute Protestanten haben sich das zu Herzen genommen. Seit Innereien wie Hirn, Milz und Rückenmark von Rindern als Hauptüberträger von BSE-Erregern gelten, schauen die Berliner genauer hin, was ihnen in den Topf kommt. Wie eine Erleuchtung macht sich die Einsicht breit, dass der Biobauer doch fürsorglicher mit seinen Tierchen umgeht als der Kollege in der Großmastanlage.

In den Biomärkten klingeln die Kassen, seit Wochen fahren die Fleischtheken dort um die 30 Prozent mehr Umsatz ein. Da kommt Freude auf. Aber Schadenfreude entwickelt Michael Wimmer von der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau e. V. nicht. „Die normalen Fleischer schwimmen gegenwärtig“, sagt er. Und brisant ist der Grund allemal. Dass BSE auch von heimischen Weiden frisch auf den Tisch kommen kann, rüttelt am Grundvertrauen der Deutschen zu ihren Lebensmitteln.

Und das zu Recht. Denn dass neben Rindern auch Schafe und Ziegen willige Wirtstiere sind, ist schon länger bekannt. Inzwischen sollen auch Schweine und Geflügel nicht mehr sicher sein. Das gleiche gilt für Wild. Rehe sind genau wie Rinder Wiederkäuer. Um die Verunsicherung komplett zu machen: Auch in versteckter Form, in Gummibärchen und Brühwürfeln, sind Rinderbestandteile enthalten. Durch herkömmliches Kochen oder Braten ist den Erregern nicht beizukommen. Das Bundesministerium empfiehlt sogar besorgten Bürgern, auf rein pflanzliche Kosmetika umzusteigen.

Bei des Berliners bestem Freund, dem Hund, ist noch kein BSE-Fall bekannt. Katzen hingegen sind gefährdet. In England wurde die Krankheit bei Großkatzen diagnostiziert. Die Gefahr lauert im Futter. Raubtiere werden selbst bei wohlmeinendster Erziehung nicht zu Vegetariern. Und Vegetariern, wie dem Rind, scheint der Fleischkonsum nicht gut zu tun. Man habe es ja schon immer gewusst, hört man die sich melden, die auf alles eine Antwort haben: Schon 1923 war für Rudolf Steiner klar: „Wenn der Ochse direkt Fleisch fressen würde, würde er verrückt werden.“

Rückblicke helfen dem Verbraucher nicht weiter. Solange die Landwirtschaft weiter darauf angewiesen ist, immer billiger zu produzieren, sind Folgeschäden bei Pflanze, Tier und Mensch nicht auszuschließen. Auch wohlmeinende Hinweise des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sind nicht seriös und zudem missverständlich. „Fragen Sie den Metzger oder Lebensmittelhändler nach der Herkunft“ klingt eher ausländerfeindlich als verbraucherfreundlich.

Trotz neuer Kontrollen und Tiermehlverbote bleiben Unsicherheiten. Noch ist nicht einmal endgültig nachgewiesen, dass BSE durch Tiermehl beziehungsweise ausschließlich dadurch übertragen wird. Wenn das der einzige Übertragungsweg wäre, dann können Biobauern ihren Kunden 100-prozentige Sicherheit garantieren. Die Verfütterung von Tiermehl ist dort seit je verboten. Kontrolliert wird nach der EU-Verordnung 2092/91 und den jeweiligen Verbandsrichtlinien.

Mindestens ein Mal im Jahr wird jeder Hof geprüft. Unabhängige, staatlich zugelassene Institute sichten alle Belege über Herkunft der Tiere, verwendetes Futter, Lieferscheine und Lagerbedingungen. Proben werden an Labors gegeben. Zur Vorbereitung erhalten die Prüfer Einsicht in die Betriebsakten der vergangenen Jahre. Im Vier-Augen-System erfolgt eine zweite Kontrolle durch einen weiteren Angestellten des Instituts. Liegt ein begründeter Verdacht vor, werden Laborproben genommen.

Die jährlichen Kontrollen sind angekündigt, damit die Unterlagen vollständig vorliegen. Darüber hinaus gibt es stichprobenartige Besuche ohne Voranmeldung. Doch das betrifft nur Prozent der Höfe. Bayern und Rheinland-Pfalz schreiben 20 Prozent vor. Bei Beanstandungen drohen Strafen von der Verwarnung über Aberkennung des Bio-Zertifikats bis hin zum Vermarktungsverbot.

Biofleischer müssen bis aufs Gramm genau die Herkunft ihrer Waren nachweisen Der Geschäftsführer des EO-Supermarktes in Berlin, Lutz Gluckert, beschreibt den Einzelnachweis sehr anschaulich. „Man kann genau sagen, in welcher Wurst Kuh Erika ist und welches Filet mal auf den Namen Helena gehört hat.“ Die Buchführung von der Geburt bis zur Kühltruhe ist lückenlos. Bei Demeter gehört es zur Ideologie, dass der Bauer sogar Sterbebegleitung leistet.

Torsten Jannsen, Leiter der EU-Bio Kontrollstelle Grünstempel e. V., weist darauf hin, dass nur geprüfte Höfe ihre Waren mit „Bio“ oder „Öko“ vermarkten dürfen – mit der aufgedruckten Bio-Code-Nummer „DE-021-Öko-Kontrollstelle“. Dagegen handele es sich bei Beschreibungen wie „integriert“, „umweltgerecht“ oder „kontrollierter Anbau“ in der Regel um Mogelpackungen. Die Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau betreibt eine Beschwerdestelle für irreführende Biokennzeichnung. Auch Landesbehörden müssen dem Verdacht des Gütesiegelmissbrauchs nachgehen.

Neben dem Verkauf von Biofleisch steigt auch der von Sojaprodukten. Tofuwurst klingt schließlich nicht ganz so vegetarisch wie Gemüsebratling. Und die Skandale um genbehandelte Soja sind schon wieder eine Weile her. Wer ganz sicher gehen will, sollte nach Bayern auswandern. Die Regierung des Freistaates propagiert: „In Bayern ist bislang kein BSE-Fall aufgetreten. Mit dem Herkunftssicherungssystem Qualität aus Bayern – Garantierte Herkunft (QHB) erhält der Verbraucher ein Höchstmaß an Sicherheit.“ Bayern ist halt katholisch und hält nichts von Luther.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen