: Textklau im Internet
■ Journalistin verklagt MdB Özdemir vor Bremer Amtsgericht: Verletzung von Urheberrechten / Grüner hatte taz-Text ohne Genehmigung auf der Homepage
Kommendes Jahr wird sich das Bremer Amtsgericht wohl auf juristisches Neuland begeben: Die ehemalige taz-Mitarbeiterin Kerstin Schneider hat den Grünen-Politiker Cem Özdemir wegen Verletzung ihrer Urheberrechte verklagt.
Es begann als Internet-Recherche über die mangelhafte Ausrüstung der Polizei. Schneider, heute Redakteurin beim Hamburger „Stern“, gab die Suchbegriffe „Polizei“ und „Pleite“ ein – und erlebte eine Überraschung. Auf dem Schirm tauchte ein Text über die desolate Finanzlage der Bremer Polizei auf, gezeichnet mit ihrem „kes“-Kürzel, geschrieben zwei Jahre zuvor für die taz Bremen. Fundort war die Homepage einer gewissen „Polizei-Basis-Gewerkschaft in Viersen“.
Zuerst konnte Kerstin Schneider noch darüber schmunzeln, „dass ausgerechnet die Polizei einen Text aus der taz klaut, um ihn im Internet für ihre Selbstdarstellung zu nutzen“. Doch dann stellte die Journalistin fest, was es mit dieser so genannten Gewerkschaft auf sich hat: Die „Polizei-Basis-Gewerkschaft“ hat nichts mit Grünröcken zu tun, sondern missbraucht den Namen der Polizei, um auf dubiose Weise Anzeigen für ihre Zeitung zu werben. Einige Landeskriminalämter warnen sogar vor den Machenschaften dieser selbst ernannten Gewerkschaft.
Misstrauisch geworden gab Schneider ihren Namen als Suchbegriff ein. Das Ergebnis war ergiebig: Der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir schmückte seine Internet-Seiten mit einem Artikel Schneiders über die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck, die FDP-nahe Friedrich Naumann-Stiftung hatte ein Interview zum Thema „Warum Frauen die besseren Unternehmer sind“ aus der taz Bremen in ihrem Internet-Magazin veröffentlicht. Und so weiter. Jetzt war Schneider das Schmunzeln vergangen. „Ich bin nicht die Pressesprecherin von Cem Özdemir und mache auch keine Öffentlichkeitsarbeit für die Friedrich-Naumann-Stiftung.“
Versuche, mit den illegalen Nutzern direkten Kontakt aufzunehmen, verliefen unergiebig. Bei der Polizeigewerkschaft wurde sie von der Sekretärin abgewimmelt. Erbetene Rückrufe blieben aus, eine E-Mail blieb unbeantwortet. Auch das Büro von Cem Özdemir ließ sich Zeit. Erst als Kerstin Schneider dem Bundestagsabgeordneten eine Honorarrechnung über 1.000 Mark schickte, meldete sich sein Referent, ob sie wirklich Geld für ihren Text wolle. Als Schneider bejahte, begann die Justiziarin der Grünen-Bundestagsfraktion, um das geforderte Honorar zu feilschen.
Nach Empfehlung der Mittelstandsgemeinschaft Freie Journa-listen stünden ihr – für einen Text, den Özdemir zwei Jahre lang auf seiner Internet-Seite veröffentlicht hatte – nur 148,50 Mark zu. Aus Kulanzgründen sei man bereit, das Doppelte zu zahlen. Ein Honorar, das deutlich unter dem Satz des Tarifvertrages der Journalisten-Gewerkschaft DJV liegt.
Cem Özdemir – monatliche Bezüge: 19.395 Mark – benehme sich „wie ein Ladendieb, der erwischt wird und hinterher die Preise bestimmen will“, schimpft Kerstin Schneider. Auch bei der Friedrich-Naumann-Stifung stieß die Journalistin zunächst auf taube Ohren. Der Syndikus habe ihr fast ein schlechtes Gewissen einreden wollen. „Naja, wenn Sie keinen Beitrag zur politischen Bildung leisten wollen ...“ Da platzte der Redakteurin endgültig der Kragen. „Texte-Klau via Internet ist mittlerweile offenbar gang und gäbe. Die Leute haben noch nicht mal ein schlechtes Gewissen.“
Ein Eindruck, den Stefan Endter, Geschäftsführer des Deutschen Journalistenverbandes Hamburg, bestätigt. „Seit zwei Jahren sind Urheberrechtsverletzungen im Internet bei uns zunehmend Thema der Rechtsberatung“. Bisher seien rechtliche Auseinandersetzungen immer im Sinne der betroffenen Journalistinnen und Journalisten verlaufen. DJV-Jurist Endter ist zuversichtlich, dass das so bleibt: „Das deutsche Urheberrecht ist eindeutig und gilt auch für das Internet“ – zumindest, solange ein Urheberrechtsverletzer von deutschem Boden aus agiere. DJV-Justitiar Benno H. Pöppelmann sagt: „Nur rein nachrichtliche, tagesaktuelle Meldungen dürfen ohne Genehmigung weiterverwertet werden.“
Mittlerweile hat sich die Friedrich-Naumann-Stiftung zu einer Honorar-Zahlung durchgerungen und die Polizei-Basis-Gewerkschaft hat eine Unterlassungserklärung unterschrieben. Nur Cem Özdemir bleibt stur. Auf Schneiders Angebot, ihr Honorar als Spende an die Amadeu-Antonio-Stiftung gegen rechtsradikale Gewalt zu überweisen, reagierte der Politiker, der gern Ausländerbeauftragter der Bundesregierung geworden wäre, nicht. Die Journalistin will Özdemir jetzt vor dem Bremer Amtsgericht auf Schadenersatz verklagen. Peinlich für Özdemir: Der Politiker, laut Bundestagshandbuch zeitweise selber freier Journalist, ist Gründungsmitglied der „Initiative no abuse im Internet“ – kein Miss-brauch im Internet. In dieser Eigenschaft hatte er kürzlich gefordert, was illegal sei, dürfe auch im Internet nicht erlaubt sein.
Walter K. Ludwig
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