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Der Verlust der Mitte

Sich selbst und seine Mittel ausprobieren, normal kommerziell sein, gar nichts für die Welt, aber alles für die Malerei machen: Auf unterschiedlichste Weise versuchen neue Galerien in Mitte, ein Profil von Berlin als Kunststadt zu entwickeln. Ein Rundgang

von RICHARD RABENSAAT

Vom zehnten Stock des leerstehenden DGB-Gebäudes am Alexanderplatz aus betrachtet ist Berlin ein Meer aus Häuserblöcken. Kein Fahrstuhl fährt mehr dorthin, der Weg durch das Treppenhaus gleicht dem Erklimmen eines Berges. Sieben Künstler trafen sich im September dieses Jahres vor dem renovierungsbedürftigen Bau. Sie wussten nicht, was geschehen würde, aber waren gewiss, dass die Idee, mit der Aktion Kunst zu schaffen, ausreichen müsste. Mit von der Partie war Guido Baudach, der Initiator der Galerie „Maschenmode“, die seit einem Jahr in der Torstraße residiert. Er zitierte während des Aufstiegs einen Text von Petrarca: „Die Besteigung des Mont Ventoux“.

„Einer der Künstler hatte mich darum gebeten, und mir erschien der Text passend“, erinnert sich Baudach. In dem Bericht wird wohl erstmals in der Literaturgeschichte von einer Bergbesteigung erzählt, die nicht zur Überwindung einer Wegstrecke, sondern allein um der Schönheit der Wanderung willen geschieht. Tatsächlich wirkte die Gebäuderuine auf alle Teilnehmer inspirierend. In abbruchbereiten Wohnungen, in denen der Schaum leergesprühter Feuerlöscher zerfällt, zeichnete einer der Künstler in den Staub, ein anderer fotografierte, wieder einer fertigte ein Video.

Jetzt ist es in der Galerie zu sehen, zusammen mit Zeichnungen von der Aktion, die der Künstler Liu Anping produziert hat. „Hier kommt viel zusammen. Lius traditionelle Ausbildung, seine Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten und auch seine Zeit als Dissident in China, wo er im Knast saß“, sagt Baudach. Die beiden Künstler passen nicht unter einen Nenner: Sie wollen lediglich in der als offen empfundenen Situation der gegenwärtigen Berliner Kunstszene sich und die eigenen Mittel ausprobieren. Das gilt nicht nur für Baudachs Künstler. „Etwas Neues ist in den letzten Jahren entstanden“, meint Joanna Kamm von der Galerie SSK.

„Die Situation ist noch sehr offen. Es ist noch viel Raum da. Die Galeristen und die Künstler arbeiten an einem neuen Profil von Berlin als Kunststadt.“ 1998 begann Kamm in einem kleinen Laden in der Linienstraße, Kunst zu zeigen. In ihrem Projektraum bot sie einer Vielzahl von Künstlern die Gelegenheit, ihre Werke zu zeigen. Es entstand ein offenes Forum, aus dem sich mit der Zeit ein festes Profil herausschälte. „Diese Phase ist jetzt vorbei“, konstatiert die Galeristin. „Ich konzentriere mich jetzt auf wenige Leute, mit denen ich länger zusammenarbeiten möchte.“ Die experimentelle Kommunikationssituation habe ihren Blick geschärft und eine Sicherheit in der Beurteilung von Kunst vermittelt, die von Kollegen geschätzt wird. Anerkannt wurde ihr Engagement nicht zuletzt durch Einladungen zu renommierten Kunstmessen, die früher erfolgten, als an sich bei jungen Galeristen üblich. Der Raum in der zentralen Linienstraße ist ihr jetzt zu klein geworden. Sie braucht Platz für ein Lager, fürs Büro und um die größeren Arbeiten ihrer Künstler angemessen zeigen zu können. Deshalb zieht sie Anfang nächsten Jahres um, aber auch ihr neues Domizil liegt in Mitte. „Ich mache nun die Arbeit einer ganz normalen kommerziellen Galerie“, sagt sie.

Etwas ganz anderes will die „Plattform“ in der Chausseestraße. Nicht der Kommerz lockt die Initiatorin Ulrike Kremeier. Sie interessiert sich für die gegenwärtigen Möglichkeiten künstlerischer Identitätssuche in einer immer stärker zersplitternden Gesellschaft. Entsprechend dem Namen des Projektes steht nicht der einzelne Künstler im Mittelpunkt, sondern die Kommunikation innerhalb eines sich ständig wandelnden Flusses von künstlerischen Bedeutungen und Behauptungen. In „Short hills“ von Dorit Margreiter waren zuletzt Ausschnitte amerikanischer und chinesischer Soaps zu sehen. Die Fernsehserien entfachen Leidenschaften bei den nach Amerika ausgewanderten chinesischen Verwandten der Künstlerin. Diese berichten in Video- und DVD-Aufzeichnungen über ihren Alltag in einer von Medien bestimmten Welt. So erläutern die Protagonisten nicht zuletzt das Nomadentum des Künstlers in einer für unzählige Möglichkeiten offenen Medienstruktur.

Gerade die unzähligen Äußerungsmöglichkeiten der Kunst sind es hingegen, die die Künstlergruppe „Konvention“ ein ganz anderes Konzept verfolgen lassen. Der Name ist Programm. Die ausschließlich aus Absolventen der Kunsthochschule Braunschweig bestehende Vereinigung beschränkt sich in ihren repräsentativen Galerieräumen in der ehemaligen Ungarischen Botschaft darauf, ausschließlich Tafelbilder zu präsentieren. „Nach dem Schlitz in der Leinwand von Lucio Fontana konnte es in der Malerei eigentlich nicht mehr radikaler werden“, erklärt Oliver Grüne. In ihrem Manifest postulieren die Maler daher: „Wir tun nichts für die Welt, alles für die Malerei.“ Als „Erfüllungsgehilfen einer Malerei ohne Auftrag“ sehen sie sich und bestehen darauf, dass ordentlich gemalte Bilder den weißen Schutzraum benötigen. Erst in diesem könnten sie sich wirklich entfalten. „Mir wird schlecht, wenn ich sehe, wie ein an sich sensibel gemaltes monochromes Bild an einer Kellerwand vor lauter Graffiti hängt“, meint Gröne.

„Die Galerie soll ein Schutzraum für Bilder sein“, erklärt Lisa Pakschies, ebenfalls Mitglied bei „Konventionen“. Diesem Gedanken bleibt sie auch bei den eigenen Arbeiten treu. Zart verwobene Farbflächen lassen immer wieder Assoziationen von Gegenständlichem zu, dabei markieren die Bilder eine Position, die sich in ihrer Differenziertheit gut gegen die Trash-Kultur der Berliner Off-Szene behauptet.

Nicht in der Malerei, sondern bei der Präsentation von Objekten und Installationen wiederum liegt der Schwerpunkt der Galerie Wieland. „The higher they jump, the harder they fall“, kommentiert ein Schild den aus Latex geformten Nachbau eines Trampolins von Edith Dakovic. Darin sind die Umrisse einer offenbar herabgestürzten Figur eingedrückt. Den „Verlust der Mitte“ beklagt die Arbeit eines anderen Künstlers. Dass auch Galeristen in Mitte erst ihr eigenes Zentrum finden müssen, hat Wieland bereits erfahren.

„Es dauert einige Zeit, um von den etablierten Kollegen akzeptiert zu werden“, sagt sie. Die bei ihr aufgebauten Arbeiten – im Moment sind es Zeichnungen und Collagen von Sebastian Rogler – erwecken oft den Eindruck, als seien die Künstler noch auf der Suche nach einem festen Stand. Zu ihrer Arbeit „squeeze me, beat me, call me dirty names“ forderte allerdings Dakovic die Besucher auf, die lebensgroßen Latexfiguren „anzufassen, zu quetschen, zu schlagen, zu umarmen oder sogar umzuwerfen“. Was bei der Eröffnung auch getan wurde. Sehr zum Schrecken der Galeristin.

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