: Der Kronzeuge: Frei und doch nicht frei
Tarek Mousli bekommt eine neue Identität und monatlich 2.400 Mark vom Bundeskriminalamt plus Kosten für Miete, Versicherung, Auto und Telefon. Wie lange er im Zeugenschutzprogramm bleiben wird, steht noch in den Sternen
Formal ist der 41-jährige Tarek Mousil seit Montag ein freier Mann. Doch davon war nichts zu spüren, als der Kronzeuge der Bundesanwaltschaft den Gerichtssaal verließ. Eskortiert von zwei Personenschützern ging er den Weg, den er alle die Tage zuvor gekommen war: durch eine panzerglasgeschützte Hintertreppe zu der Daimler-Kolonne, die ihn zum Flughafen brachte.
Das Kammergericht hat Mousli wegen Mitgliedschaft bei den Revolutionären Zellen (RZ) sowie Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Die milde Strafe wurde damit begründet, dass Mousli sechs weitere angebliche RZ-Mitglieder belastet hat.
In einem im Frühjahr beginnenden Prozess wird Mousli als Kronzeuge gegen die von ihm Beschuldigten aussagen. Er gilt als hoch gefährdet und befindet sich deshalb im Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamtes (BKA). Er hat eine neue Identität bekommen, wohnt an einem geheimen Ort und wird monatlich mit 2.400 Mark alimentiert, Kosten für Miete, Versicherung, Auto und Telefon werden gesondert vergütet.
Das Zeugenschutzprogramm wird meistens im Bereich Organisierte Kriminalität und Terrorismus angewendet. „Es soll sicherstellen, dass Zeugen ohne Angst vor Repressalien aussagen können“, erklärt ein BKA-Sprecher. „Die Maßnahme kann sehr kurz, aber auch sehr lange dauern“. Ausschlaggebend sei die Einschätzung von Sicherheitsexperten. Der Etat, der dem BKA und den Länderpolizeien für das Zeugenschutzprogramm zur Verfügung steht, ist geheim. Wenn nötig, wird die gesamte Familie des Zeugen mit einer Legende ausgestattet. Grundsatz ist nach Angaben des BKA-Sprechers jedoch, dass der Zeuge finanziell nicht besser gestellt wird als vorher, um keinen Anreiz zu Falschaussagen zu bieten. Ziel sei, durch Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen eine Reintegration des Zeugen ins Berufsleben zu erreichen. Voraussetzung ist, dass der Zeuge radikal mit seiner Vergangenheit bricht. Mousli wies im Prozess darauf hin, dass er „eine ganze Menge aufgeben“ musste, weil er als Karatelehrer an exponierter Stelle tätig gewesen sei.
Dass ein Leben auf Kosten des Staates auch vergnüglich sein kann, hat der Fall des ehemaligen V-Mannes Volker Weingraber gezeigt. Jener war in den 70er-Jahren tief in den bis heute unaufgeklärten Mord an dem Studenten Ulrich Schmücker verwickelt. Später hatte Weingraber vom Berliner Verfassungsschutz 310.000 Mark zum Aufbau einer neuen Existenz in der Toskana erhalten. Als sein Aufenthaltsort 1986 durch einen Spiegel-Bericht aufgeflogen war, hatte ihm der Verfassungsschutz weitere 450.000 Mark zugesteckt. Statt sich eine neue Bleibe zu suchen investierte Weingraber das Geld aber in sein Weingut. Der Verfassungschutz hat ihn deshalb 1994 vor einem italienischen Zivilgericht auf Rückzahlung der Summe verklagt. Am 6. Februar 2002 soll das Urteil verkündet werden.
PLUTONIA PLARRE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen