: Etwas Autonomie für Aceh
Indonesiens Präsident bietet der Unruheprovinz Aceh Eigenständigkeit ohne Unabhängigkeit, doch er hat sich dort schon zu viele Sympathien verscherzt
BANGKOK taz ■ Geschützt von 2.000 Soldaten und einer kugelsicheren Weste ist Indonesiens Präsident Abdurrahman Wahid gestern in die rebellische Provinz Aceh gereist. Kurz vor seiner Ankunft explodierten in der Provinzhauptstadt Banda Aceh mehrere Bomben, die niemanden verletzten. In einer vom Fernsehen aus der zentralen Moschee übertragenen Rede rief Wahid die Unabhängigkeitsbewegung auf, die Friedensverhandlungen so lange weiter zu führen, „bis sich alle einig sind, dass Aceh frei sein kann – aber frei innerhalb der Republik Indonesien“. Gleichzeitig gab er „Fehler“ zu, die seine Regierung in Aceh gemacht habe. Er habe das Militär nun angewiesen, die Bewohner „nicht als Feinde, sondern als Freunde“ zu behandeln.
Das wäre allerdings neu: Die westlichste und rohstoffreiche Provinz zählt zu den gefährlichsten Regionen Indonesiens. 430 Menschen wurden seit Mai von Todesschwadronen der Armee und Terrorgruppen der Separatisten ermordet – obwohl Regierung und die Bewegung „Freies Aceh“ damals eine „humanitäre Pause“ mit Verhandlungen beschlossen hatten.
Nach Informationen der Menschenrechtsorganisation „Kontras“ sind die meisten Toten Opfer militärischer Straf- oder Einschüchterungsaktionen. Täglich werden Leichen gefunden, viele mit Folterspuren. Mehrere Bürgerrechtler und Regierungskritiker wurden in den letzten Wochen gezielt hingerichtet. Auch Frauen und Kinder wurden erschossen. Die Gewalt zeigt auch, wie wenig sich Soldaten und Polizisten um die Befehle ihres Präsidenten scheren. Wahids Versuche, die Streitkräfte zu reformieren, sind längst ins Stocken geraten. Oft bricht die Disziplin zusammen. So beschossen frustrierte Soldaten am Montag nach Polizeiangaben aus unbekannten Gründen ein ziviles Flugzeug, das auf einem Flughafen im Norden Acehs landen wollte.
Zu den jüngsten Verbrechen gehört die Ermordung von drei Mitarbeitern einer Hilfsorganisation, die Folteropfern hilft und von Dänemark unterstützt wird. Der Polizeichef von Aceh, Rasjudi, gab am Wochenende die Verhaftung von drei Polizisten und einem Zivilisten bekannt, die an dem Überfall auf ein Auto der Hilfsorganisation beteiligt waren. Die vier Insassen wurden zum Aussteigen gezwungen. Drei wurden erschossen, ein Vierter entkam und konnte sich in den Schutz der dänischen Botschaft nach Jakarta retten.
Die Regierung droht inzwischen mit einer Armeeoffensive, falls bis zum 15. Januar kein Friedensabkommen mit den Rebellen zustande kommt. In der Suharto-Zeit stand Aceh fast zehn Jahre lang unter Militärrecht. Damals waren Mord, Folter und Entführung durch die Sicherheitskräfte an der Tagesordnung. Seit Ende der 80er Jahre wurden über 4.000 Menschen ermordet oder sind spurlos verschwunden.
Wahid selbst verscherzte sich mit seiner erratischen Politik in Aceh viele Sympathien. Kurz nach seinem Amtsantritt im Oktober 1999 bot er der Region ein Referendum nach dem Vorbild Osttimors an, zog dieses Versprechen aber sofort wieder zurück. Dann behauptete er, er wolle nur darüber abstimmen lassen, ob die muslimische Bevölkerung die Scharia einführen wolle. Jetzt musste ihm der Gouverneur der Provinz erst erzählen, dass Aceh das islamische Recht schon seit Monaten anwendet. Obwohl Wahid die Rebellen gestern in die Moschee eingeladen hatte, erschien kein Vertreter von „Freies Aceh“. JUTTA LIETSCH
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