Pearl, ganz down to earth

Eine neue Janis-Joplin-Geschichte, dreißig Jahre nach ihrem Tod: Mit „Piece of my heart“ legt die Kulturwissenschaftlerin Alice Echols eine Biografie der Sängerin aus feministischer Perspektive vor

von JENNI ZYLKA

Die Grabsteingeschichte: Zwei Monate vor ihrem Tod kaufte sie einen Grabstein für das Grab der Bluessängerin Bessie Smith, die mit 39 Jahren als Alkoholikerin starb. Die Einsamkeitsgeschichte: „Auf der Bühne mache ich Liebe mit 25.000 Menschen – und dann gehe ich allein nach Hause“, soll sie einmal gesagt haben. Die Drogengeschichte: Nicht mehr nüchtern seit ihrem sechzehnten Lebensjahr, literweise Southern Comfort, später Tequila und dann das Heroin, das sie umbrachte.

Kaum eine Geschichte über Janis Joplin, die man nicht kennt. Und jetzt kommt noch eine dazu: die Frauengeschichte. Die Janis-Joplin-Biografie „Piece of my heart“ von Alice Echols wurde in den USA als „feministische“ Biografie gelesen. Man bestätigte der Kulturwissenschaftlerin, die eigentlich „ein Buch über Frauen und Rock ’n’ Roll schreiben wollte“, dann aber bei Janis Joplin hängen blieb, eine neue Herangehensweise an eine, bei der das ohnehin schwierige Wort „Ikone“ einen noch schwierigeren Beigeschmack bekommt. Aber es steht tatsächlich mehr als die bekannten Geschichten in der Biografie, die, wer weiß warum, für den deutschen Markt von „Scares of sweet paradise“ in „Piece of my heart“ umbenannt wurde.

Es steht viel über Joplins Umfeld im Buch. Lange hat die 49-jährige Autorin, die Joplin 1967 einmal live im Konzert sah und sie, obwohl „Janis total besoffen war“, grandios fand, in Joplins Kindheit, bei Freunden und den wenigen noch lebenden Angehörigen gewühlt und recherchiert. Sie hat zweimal mit Janis’ Schwester Laura gesprochen – Janis Vater ist schon tot, die Mutter schwer an Krebs erkrankt. Echols hat versucht, ein exaktes Bild zu malen, vom miefigen Texas, der Kleinstadt Port Arthur, in der Janis wohl behütet und glücklich aufwuchs. Dann die Pubertät, in der nach Echols bei Janis eine plötzliche Metamorphose ins vermeintlich Hässliche einsetzte: „Janis flacher Busen war das geringste ihrer Probleme. Als sie 14 war, fing sie an, zuzunehmen“, dazu kam eine Pubertätsakne – fertig war das erotische Schlusslicht einer jeden High School.

Echols versucht zu beschreiben, wie schwer es Ende der 50er gewesen ist, über diese für eine 15-jährige schwerwiegenden Probleme hinwegzukommen und ein Selbstbewusstsein zu entwickeln, das im Prinzip den gesamten amerikanischen Schönheitsidealen, der Gesellschaftsstruktur trotzen kann. Und scheint dabei immer wieder zu bezeugen, dass Janis mehr oder weniger daran zerbrach: all ihre spätere Entwicklung als Folge ihres nicht High-School-kompatiblen Aussehens. Die Hinwendung zur Musik, zum Blues, den sie, um ihn wie ihre schwarzen Vorbilder richtig spüren zu können, genau wie diese leben musste. Und weil Blues nun mal Traurigkeit heißt, muss man verdammt noch mal am Ende sein, um ihn authentisch zu bringen. Das Außenseitertum, das sie begeistert pflegte, samt Ausreißen nach Texas mit 17, sturzbesoffen auf dem Campus herumhängen mit 20 und schließlich die allmähliche Annäherung an die Heroinszene, die nach einigen Jahren als „Chipper“, also gelegentlicher User, zur jahrelangen Abhängigkeit führte.

Anfangs scheint Echols kleinteilige Erzählung, in dem quasi jeden Stein, über den Joplin mal gegangen ist, eine Bedeutung zugewiesen bekommt, noch überladen mit Details und sichtlich bemüht darin, eine gerade Linie in Joplins schwankendem Leben zu finden: Blame it on the male system. Aber sobald Janis Joplin einen eigenen Weg betritt, der leider traurig endet, entwickelt sich auch die Biografie immer mehr zu einem Ganzen, das man versteht, das jeder versteht, auch nicht weibliche, nicht pickelige und nicht drogenabhängige Menschen. Ja, Joplin hatte es schwerer wegen ihres Aussehens, denn die Welt ist wirklich so oberflächlich und unfair. Und Joplin war eine besonders sensible Person, die mehr als manche andere unter diesen Urteilen litt und nie die richtige Art fand, ihnen zu begegnen, sondern lieber den Weg in die Selbstzerstörung suchte.

Das haben vor ihr schon viele Künstler getan. In den letzen Jahren Joplins, in denen sie zwischen Megaerfolgen (mit Big Brother and the Holding Company) und Megamisserfolgen (zum Beispiel in ihren Beziehungen, in ihren Versuchen, vom Heroin wegzukommen) hin und her taumelt, wird sie in Echols Buch richtig real. Sie wird zu einer komplexen (launischen, schwer- und übermütigen, nervigen und lieben) Person. Einer, von der man ohne Weiteres glaubt, dass sie auf die präfeministischen Machomänner der Endsechziger wie ein grotesker, anstrengender Musikclown gewirkt haben muss und auf die Frauen und Mädchen um sie herum schockierend in ihrer Haltlosigkeit.

Am besten gelingt Echols jedoch, Janis’ Situation als weiße Blues-Sängerin zu beschreiben – ein Aspekt, der in den anderen Biografien kaum eine Rolle spielte, sei es in der braven, schlicht geschriebenen und uninteressanten „Love, Janis“ ihrer Schwester Laura, oder in „Hemmungslos das Leben spüren“ von Hein Geuen, das einfach nur eine überflüssige Starbiografie mehr darstellt.

Echols erzählt von einem Konzert mit all den schwarzen Soulgrößen, mit den HeldInnen des Stax-Labels, das Joplin mit ihrer neuen Band (nach vielen Rückschlägen) als Vorband bestreiten durfte. Und wie sie, erstmalig vor einem fast 100-prozentig schwarzen Publikum, auf Granit biss mit ihrer Möchtegern-Blues-Attitude angesichts der originären, schwarzen Working-Class-Stars, die nicht nur die lebendigeren Stimmen, sondern auch die ausgefeiltere Show darboten. Ein Desaster für Janis, die sich kurz vor ihrem Tod unter dem Künstlernamen „Pearl“ sogar noch bluesiger geben wollte als zuvor. Ganz weg vom Folk, ganz down to earth.

Natürlich war es die Drogensucht, die sie geschafft hat, nicht die Medien oder die Öffentlichkeit und auch nicht die Frage nach der Blues-Authentizität. Echols bestätigt das. Trotzdem kitzelt sie mit ihrem Buch ganz sanft und vorsichtig einen neuen Blickwinkel hervor, die das Leben der Janis Joplin in einen feministischen Zusammenhang stellt, ohne dogmatisch, larmoyant oder entschuldigend zu sein. Das wurde mal Zeit.

Alice Echols: „Janis Joplin. Piece of my heart“. (Übersetzung). W. Krüger Verlag 2000, 557 S., 49,90 DM