: Hoffnung für Kaschmir
Mit der Verlängerung des einseitigen Waffenstillstands hat Delhi eine Dynamik ausgelöst, die auch Pakistan und kaschmirische Widerstandsgruppen erfasst
DELHI taz ■ Der Waffenstillstand in Kaschmir soll um weitere fünf Wochen verlängert werden. Die Ankündigung des indischen Premierministers A.B. Vajpayee am Mittwoch war erwartet worden, nachdem die einseitig ausgerufene Feuerpause während des islamischen Fastenmonats Ramadan gehalten hat. Die meisten militärischen Widerstandsgruppen hatten Delhis Schritt zwar als taktische Finte abgetan, und es gab etliche kleinere Zwischenfälle. Doch die Mehrheit der Kaschmirer wünscht ein Ende des Bürgerkriegs, und die internationale Meinung stellte sich hinter Delhis Initiative. Beides zwang auch den bewaffneten Widerstand zur Zurückzuhaltung. Dies schuf nun die Voraussetzung zur Ausweitung des Waffenstillstands, was ihn permanent machen und zu Friedensverhandlungen führen könnte.
Nur Stunden nach der indischen Ankündigung meldete auch Pakistan einen Teilrückzug seiner Truppen von der Waffenstillstandslinie. Bereits bei der ersten indischen Feuereinstellung am 19. November hatte Islamabad seinen Truppen „größte Zurückhaltung“ auferlegt und damit signalisiert, auf die Initiative des verfeindeten Nachbarn einzugehen. Auch der Rückgang der militärischen Aktionen in Kaschmir wurde dem Einfluss Pakistans zugeschrieben, von wo aus die Untergrundgruppen operieren. Ein Militär-Kommuniqué begründete den neuen Truppenrückzug mit dem Willen Pakistans, „die Situation zu entschärfen, um einen sinnvollen Dialog zu erleichtern“.
Pakistans rasche Reaktion zeigt, dass die Ramadan-Initiative allmählich eine Basis schafft, auf der der Kaschmir-Dialog wieder aufgenommen werden kann. Er war vor anderthalb Jahren jäh abgebrochen worden, als Pakistan in Kargil einen Lokalkrieg ausgelöst hatte. Der Putsch der pakistanischen Generäle vier Monate später fror die Beziehungen ganz ein. Indien weigerte sich, mit dem Nachbarn ins Gespräch zu kommen, solange dieser dem „grenzüberschreitenden Terrorismus“ nicht absagte. Der wachsende öffentliche Druck, sichtbar an den zahlreichen Treffen besorgter Bürgergruppen beider Länder, schuf dann aber eine Dynamik, die Vajpayee schließlich zu seiner Initiative zwang. Sie kam einem Test gleich, der nun bestanden ist.
Wie sich aus dem Text der indischen Erklärung ablesen lässt, wird die Verlängerung des Waffenstillstands als Gelegenheit begründet, „abklärende Schritte zu unternehmen, die für einen umfassenden Dialog nötig sind“. Indien vermisst zwar immer noch eine formelle Absage an den Terrorismus. Aber der Rückgang von Gewalt und die Ruhe an der Grenze haben Vajpayee bewogen, das Abschwören jeder Gewalt nicht mehr zur Bedingung für Gespräche zu machen. In welcher Form diese stattfinden, ist noch unklar. Sicher ist, dass Delhi die von Pakistan und der kaschmirischen Opposition geforderte Form eines dreiseitigen Dialogs nicht wünscht und bilaterale Gespräche mit beiden bevorzugt. BERNARD IMHASLY
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen