piwik no script img

Statt VIP-Club heute die Vereinskneipe

Tennis Borussia Berlin ist wieder auf dem Weg zum ganz normalen Club – mit Sponsor, aber ohne Größenwahn

Die spärlich bekleideten Sambatänzerinnen auf der Tartanbahn sind verschwunden. Ebenso die Jongleure und Schlagerstars wie Bernhard Brink, die im Mommsenstadion ihren Auftritt hatten. Das Rahmenprogramm bei Tennis Borussia, das einen Vorgeschmack auf die Show Champions League geben sollte und eine halbe Million Mark pro Saison kostete, wurde eingespart.

Heute kommt der Trommelwirbel der Band „Terra Brasilis“, früher die bezahlten Stimmungsmacher bei TeBe, nur noch vom Band. Allein Juppy, Chef der Ufa- Fabrik, blieb Stadionsprecher. „Ist das nicht eine herrliche Kulisse ...“, sagt er jüngst beim letzten Heimspiel vor der Winterpause gegen den SC Verl (1 : 2). Der beleuchtete Funktum in Sichtweite der Arena war gemeint, nicht die spärliche Kulisse von 862 Fans.

Längst ist bei TeBe wieder alles wie vor drei Jahren: Regionalliga-Provinzmief statt des Dufts der großen weiten Welt. Da ist einiges schief gelaufen im Jahr 2000. Im Februar sprach TeBe-Vorstandschef Erwin Zacharias noch von des Bundesliga und dem Europapokal, im Juni wurde knapp der sportliche Abstieg aus der zweiten Liga vermieden, im Juli war die Lizenz weg – und heute steht TeBe auf einem Abstiegsplatz in Liga drei.

„Wir haben geblutet wie kein anderer Verein in Deutschland“, sagt Zacharias. Da schwingt weiterhin der Vorwurf mit: Der Lizenzentzug durch den Deutschen Fußball-Bund richtete sich in Wahrheit nicht gegen TeBe, sondern gegen die Göttinger Gruppe, deren Chef Zacharias ist. Der seit Jahren schlecht beleumundete Finanzkonzern ist immer noch Klubeigner, aber nicht mehr omnipräsent. Alle 30 Werbebanden hat der Finanz- und Versicherungskonzern freiwillig weggeräumt aus der Arena, nur auf den Trikots prangt noch der Firmenschriftzug. TeBe solle sein eigenes Profil entwickeln, sagt Zacharias, ohne den Makel „Göttinger Borussia“ endlich eigene Sponsoren aquirieren.

Das ist schwer. Es ist bisher nur gelungen, einige kleine Geldgeber zu gewinnen. „Wenn wir bei potentiellen Sponsoren vorsprechen, wird die erste halbe Stunde nur über die negative sportliche Entwicklung gesprochen“, sagt Geschäftsführer Michael Plassmann. „Nach wie vor“, sagt Zacharias, „decken wir 80 Prozent des Etats. Das sollte sich ändern.“

Denn Zacharias möchte nicht mehr in ein Fass ohne Boden investieren. Im Lauf der Jahre hat er rund 80 Millionen Mark in TeBe gesteckt, in der aktuellen Runde noch 8 Millionen. „Früher lief das so: Die einen haben gelacht, die anderen bezahlt“, sagt Michael Plassmann über Spielerverträge in der zweiten Liga, die mit bis zu 2 Millionen Mark dotiert waren: „Wir müssen weg vom Image des Klubs, in dem nur das Geld regiert.“

Den Weg gehen sie weiter stringent. Unter den insgesamt sieben Spielern, die der Verein vor Weihnachten aufgefordert hat zu gehen, sind noch viele Großverdiener, die bis zu 15.000 Mark im Monat kassieren: Niclas Weiland und Willi Kronhardt zum Beispiel. „Da stimmen Leistung und Bezahlung nicht überein“, sagt Trainer Robert Jaspert. Dessen Inthronisierung vor fünf Wochen war im Übrigen für viele Alt-Borussen ein Signal: Es besteht noch Hoffnung. Zum einen, dass die Göttinger Gruppe nicht aussteigt bei TeBe (was vertraglich im Juni 2001 möglich wäre), denn andernfalls hätte Zacharias sich die hohe Abfindung für den erfolglosen Trainer Mirko Slomka sparen können. Zum anderen, dass nun wirklich die eigene Identität beim Traditionsklub gestärkt wird: Jaspert („Mein Herz hängt an TeBe, ich will den Niedergang aufhalten“) ist seit Jahren im Verein und über die Maßen beliebt bei den Fans. Der Molekularbiologe gilt als sehr kritisch dem Sponsor gegenüber – weshalb der eitle Zacharias mit Jasperts Engagement über seinen Schatten springen musste. Immer noch besucht der Klubchef fast jedes Heimspiel.

Nun, da auf absehbare Zeit keine Rendite mehr zu erwarten ist, glauben ihm viele im Verein wirklich, dass er emotional an den Lila-Weißen hängt. Auch die Selbstkritik hat Einzug gehalten am Eichkamp in Charlottenburg. „Wir haben lange nicht gesehen, wer ein seriöser Arbeiter ist und wer nur ein Blender. Wir haben wahrlich keine guten Personalentscheidungen getroffen in der Vergangenheit“, sagt Plassmann, „da ist eine Menge Kredit verspielt worden.“

Den es nun mühsam zurückzugewinnen gilt. So hat die auf den ersten Blick traurige Entwicklung bei TeBe für viele Fans auch ihr Gutes. Im liebevoll gemachten Fanzine „Lila Laune“ geben sie ihrer Freude Ausdruck, dass TeBe wieder auf dem Weg zu einem ganz normalen Klub sei. Ohne Legionäre und Größenwahn. Die Ligazugehörigkeit spiele da nur eine untergeordnete Rolle. Der VIP-Raum wurde wieder zur Vereinskneipe für die Fans, die Teamessen mit Hummer und Lachs, einst unter Trainer Winfried Schäfer üblich, gestrichen. Die „letzten Altlasten“ (Plassmann) entsorgte TeBe jetzt vor dem Arbeitsgericht: Mit Schäfer (1,2 Millionen Mark) und dem ehemaligen Spieler Sergej Kirjakow (430.000 Mark) einigte man sich in aller Stille und stilvoll auf Vergleiche. Viel Geld zwar, dem Jaspert nachtrauert („Mensch, was könnte ich dafür an neuen Spielern holen“), aber auch ein Signal: Der Neuanfang bei TeBe hat begonnen. Wo er enden soll, mit vier neuen Spielern, die in der Winterpause kommen sollen, um den Klassenerhalt zu sichern, weiß Plassmann auch: „2003 wollen wir wieder in der zweiten Liga sein.“ Leise fügt er hinzu: „Von der Champions League redet bei uns aber keiner mehr.“ MATTHIAS WOLF

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen