Kleine Fluchten

Variation der Figur des rechtsbrüchigen Polizisten: Pol Cruchtens „Black Dju Dibango“ startet diese Woche im 3001  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

An der Figur des Cop oder Undercoveragenten im Film werden zunehmend auch Fragen von Recht und Unrecht zum Thema gemacht. Rechtsbrüche, von Polizisten begangen, zeigen da wahlweise einen maroden und korrupten Apparat an, oder sie werben mit der illegalen Tat eines Einzelnen für ein Überdenken dessen, was in Gesetze gegossen ist. Und es hat lange gebraucht, bis die stets frisch rasierten „Tatort“-Lichtgestalten einen dunkel behaarten, gleichwohl unglaublich sympathischen Schimanski zur Seite gestellt bekamen, der an der gestellten Aufgabe auch mal scheitern darf, so die dritte Möglichkeit, mit der wiederum die Machtlosigkeit der Exekutive gegen die ungeschriebenen Gesetze der Gesellschaft oder diejenigen einer Schattenökonomie und womöglich ein härteres Durchgreifen beschworen wird.

Inspektor Plettschette ist so eine Gestalt. Mit seinem vordergründigen Zynismus und seinem Alkoholismus erfüllt er fast sämtliche Grundvoraussetzungen der Figur des Polizisten als Kristallisationspunkt der Verhandelbarkeit von Recht im Film, und dann hat ihn noch seine Frau verlassen. Doch in Pol Cruchtens jüngstem Film, Black Dju Dibonga, repräsentiert nicht ein Drogenring oder eine vergleichbare mafiöse Struktur die für den Cop durchlässige Grenze des Guten, sondern ein Besucher aus den vor der Küste Senegals gelegenen capverdischen Inseln.

Dju ist nach Luxemburg aufgebrochen, um seinen Vater zu finden, der vor fünf Jahren migrierte, um in Europa Geld zu verdienen, das er seiner Familie regelmäßig zugeschickt hat bis vor drei Monaten, und nicht einmal mehr Briefe haben in dieser Zeit die Insel erreicht. Doch Dju ist nicht einfach nur ein Besucher, wie Plettschette nicht einfach nur ein Bulle ist. Die erste Begegnung der beiden ereignet sich im Gebäude der Ausländerpolizei, wohin Dju umgehend nach seiner Ankunft im Gitterwagen verfrachtet worden ist. Aus dem Besucher wird ein Krimineller gemacht, denn er gilt den Behörden als potentieller illegaler Einwanderer. Erst nachdem er glaubhaft versichert hat, nur eine kurze Zeit im Land bleiben zu wollen, lässt man ihn laufen.

In der Vorhalle der Ausländerbehörde wird er Zeuge eines Streits zwischen Plettschette und einigen seiner Kollegen über die oft der Gesetzgebung vorauseilenden Methoden, mit denen diese neuerdings die institutionalisierte Hatz auf Einwanderer vollziehen. Und es dauert nicht lange, da wird Plettschette vom Dienst suspendiert, seines Alkoholkonsums und der wiederholten „Vernachlässigung seiner Pflicht“ wegen. Er wisse ja, so sein Vorgesetzter, dass er „das neue Sys-tem“ nicht schätze, aber die Kontrolle von Einwanderern habe höchste Priorität. Die Renitenz und Unflätigkeit des Inspektors tun ein Übriges für seine Entlassung.

In sehr ruhigen, unprätentiösen Bildern variiert Cruchten hier das Thema des rechtsbrüchigen Poliz-isten. Plettschette und Dju befreunden sich, der vom Dienst Suspendierte hilft dem Besucher, seinen Vater zu finden, der über der Sus-pension seiner Rechte verrückt geworden ist, und ihn aus seiner Festsetzung zu befreien. Und währenddessen misst die Kamera Daniel Barraus immer wieder minutiös die Räume aus, die den beiden bleiben, und die sind eng. Die Überschreitungen geltenden Rechts von Plettschette sind weniger einer Gutmenschen-Mentalität geschuldet, die hinter dem zynischen Säufer ja auch zum Vorschein kommen könnte, als einem ganz unspektakulären situativen Wissen darum, was zu tun ist, wenn ein „Rechts-system“ Leute nach rein phänotypischen Kriterien unter ein gesondertes Gesetz stellt, wenn es den rassistischen Generalverdacht zum Maßstab seines Handelns macht.

Obwohl dies der Stoff ist, aus dem Melodramen entstehen können, braucht bei Black Dju Dibonga niemand Tränen zu vergießen. Ähnlich wie Hussi Kutlucan in Ich Chef, du Turnschuh – wenn auch ohne jeden Slapstick – hat Pol Cruchten dafür gesorgt, die Illegalisierten nicht als pure Opfer eines ungerechten Apparats erscheinen zu lassen oder als Hilfsbedürftige wohlmeinender Ureinwohner Europas. Wenn Dju sich am Ende entscheidet zu bleiben, dann ist auch klar, dass er sich aus dem Schutz Plettschettes hinausbegibt. Das wiederum ist nicht kämpferisch oder heroisch gezeichnet, sondern es erscheint selbstverständlich.

28.-30.12. jeweils 23 Uhr sowie 1.-3.1. jeweils 22.30 Uhr, 3001