: Die Standorttherapie
500 Plätze für psychisch gestörte Straftäter fehlen in Nordrhein-Westfalen. Sechs Kliniken werden trotz Protesten gebaut
aus Düsseldorf KURT SCHRAGE
Die Genossen waren von Ministerpräsident Wolfgang Clement vorgewarnt. Wer gegen die Wahl der Forensikstandorte in NRW opponiert, muss mit politischen Konsequenzen rechnen. Entsprechend moderat waren zunächst die Reaktionen in Fraktion und Partei auf das Vorhaben, landesweit sechs Psychiatrien für Straftäter zu bauen.
Aus Angst vor Protesten verordnete die Landesgesundheitsministerin Birgit Fischer (SPD) ihren Mitarbeitern monatelang einen Maulkorb. Kein Gerücht über mögliche Standorte sollte in Umlauf kommen. Noch ein Desaster wie 1996 in Herten, als eine Bürgerinitiative in Koalition mit SPD und CDU einen Klinikbau verhinderte, will sich die Landesregierung nicht leisten.
Vor Ort regt sich allerdings mehr Widerstand: „Geschockt“ zeigte sich der OB von Herne, Wolfgang Becker, sein Stadtsprecher „vom Donner gerührt“. Becker will die Standortwahl Wanne-Nord wieder kippen. Das Gelände der einstigen Zechen „Unser-Fritz“ und „Pluto“ hat die Kommune als Gewerbegebiet vorgesehen. Das Wohnquartier habe eine hohe Arbeitslosigkeit mit dem höchsten Migrantenanteil. Über zehn Prozent hier wähle die Republikaner. „Und jetzt noch eine Forensik mit 90 Plätzen oben drauf. Dagegen wehren wir uns.“ Eine Bürgerinitiative will sich gründen.
Zwanzig Kilometer östlich zeigt sich Dortmunds OB entspannt. Gerhard Langemeyer erwartet, dass die Landesregierung ihre Entscheidung klar begründet. Im Ortsteil Aplerbeck entsteht am „Westfälischen Zentrum für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik“ ein Zubau für 54 Forensikpatienten. Bisher gibt es kaum Protest der Anrainer.
In Essen gibt es „Sicherheitsbedenken“ wegen der Nähe zur Innenstadt. Generell will sich die CDU-regierte Kommune nicht gegen den Düsseldorfer Beschluss stellen. Der Zubau an die JVA Essen fordere nach Ansicht von Gesundheitsdezernentin Eva-Maria Krüger eine politische Diskussion. Anwohner drohen mit einer Klage.
Schärfer reagiert der Kölner Bezirksvorsteher im Stadtteil Porz, Horst Krämer: Er werde sich mit allen Mitteln wehren. Auf dem einstigen Kasernengelände „Passandale“ in Porz-Westhoven entsteht eine Klinik mit 126 Plätzen. Der Landschaftsverband Rheinland hält die Entscheidung für richtig. CDU und SPD im Kölner Rat unterstützen das Projekt.
In Duisburg ist noch nichts entschieden. Im Gespräch sind zwei Areale. Die Klinik mit 90 Plätzen soll zur Therapie von suchtkranken Straftätern gebaut werden. Duisburgs Oberbürgermeisterin Bärbel Zieling berief nach Nennung des Standortes eine Sondersitzung des Ältestenrates ein. Der Widerspruch in den Stadtteilen ist verhalten.
Im Ortsteil Münster-Amelsbüren spannen Bürger die ersten Bettlaken mit der Aufschrift: „Wir haben Angst vor den Mördern.“ Das Düsseldorfer Ministerium baut an die bestehende psychiatrische Klinik eine forensische Abteilung für 54 geistig behinderte Straftäter.
Drastische Forderungen stellt der CDU-Vize der Landtagsfraktion, Hermann-Josef Arentz. Er will Hochsicherheitstrakte für nicht therapierbare Patienten. „Lockerungen müssen für solche Täter ausgeschlossen sein. Rot-Grün muss sich von der Ideologie lösen, dass alle Straftäter therapierbar sind.“
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